85 % aller Fahrer sind von ihren Beifahrern genervt. Die Reise wird zum Desaster, gipfelt in Familienkrise, Trennung. Oder sie nimmt ein unheimliches Ende, so wie für Adam.
„Wo ist Adam?“ – Auftakt meiner neuen Kolumne
Wir kriechen über die A3, von Nürnberg nach Köln, kaum schneller als ein pensionierter E-Bike-Fahrer. Ich lümmle im Beifahrersitz unserer alten Limousine und beobachte Leidensgenossen, an denen wir langsam vorbeiziehen. Ehepaare, die verbittert durch eine verdreckte Windschutzscheibe starren, plärrende Kinder hinten, keifende Eltern vorne, LKW-Fahrer, die konzentriert ihre Fußnägel schneiden, Männer, die auf der Unterlippe nagen, Schweißperlen auf der Stirn, knapp vor dem Kurzschluss, wie Michael Douglas in Falling Down.
Während wir uns also alle wie Wanderdünen vorwärts bewegen, synchronisiere ich die Gespräche meiner Beobachtungsexemplare. Ich synchronisiere sie in verschiedenen Dialekten. Weil es Spaß macht, nicht, weil ich es könnte. Im Gegenteil. Immer wenn ich versuche, deutsche Dialekte nachzuahmen, höre ich mich an, als wäre mein IQ schlagartig unter 80 gerauscht. Ein Totalausfall mehrerer Hundertausend Gehirnzellen.
Wir schieben uns an einem Opel Omega Caravan aus Polen vorbei. Im Kofferraum liegen drei Sack Zement, die Rückbank ist frei, vorne sitzen zwei Männer. Die Männer starren eisig auf den Vordermann, ihre Gesichter rund und hart. Ich nenne sie Jakub und Adam. Jakub am Steuer, Adam auf dem Beifahrersitz. Ich warte auf ein Gespräch, damit ich Wörter in ihre verkniffenen Münder legen kann. Im Gegensatz zu deutschen Dialekten kann ich einen slawischen Akzent ganz gut imitieren. Sind wohl die Gene. Doch Jakub und Adam wollen nicht sprechen. Bestenfalls könnte ich das Schwirren ihrer angespannten Nerven imitieren. Zwing, zwing, zwing.
In einer kürzlich veröffentlichten Studie der Allianz heißt es, dass 85 % aller Fahrer von ihren Beifahrern genervt sind. Jeder Dritte berichtet gar von einer aggressiven Stimmung im Fahrzeug. Und was soll ich sagen? Meine Beobachtungen decken sich mit dem Ergebnis der Unfallforschung.
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„Lass uns rausfahren, ich hab´ Hunger“, brummt Christian, und es ist, als klänge ein Nerv mit, zwing, quasi als Oberton. Wir halten an einer Raststätte im Spessart, kauen auf fettiger Currywurst und labbrigen Pommes, fast 30 Euro, zwingen die Pampe in den Magen. Satt macht es, is´ wie im Dschungelcamp. Dann sitzen wir wieder im Auto. Unsere Limousine fädelt sich nach links und rutscht mit der Blechlawine weiter. LKW für LKW, Auto für Auto.
Im deutschen Berufsverkehr sitzen durchschnittlich 1,2 Personen im Auto, was bedeutet, dass ein Fahrer darin sitzt und ein Fünftel einer Person. Ein Bein zum Beispiel, oder zwei Arme. Der Deutsche fährt eben lieber allein. Schon quatscht ihn keiner dumm an, kritisiert den Fahrstil oder weiß die beste Abkürzung (die sich meistens als desaströs erweist).
Plötzlich taucht der polnische Omega wieder auf. Jakub und Adam haben keine Pampe für 30 Euro gegessen. Wir nähern uns dem dunkelgrünen Kombi. Im Kofferraum liegen zwei Sack Zement, die Rückbank ist frei, vorne sitzt ein Mann. Jakub umklammert das Lenkrad mit beiden Händen, starrt eisig auf den Vordermann, das Gesicht rund und hart. Wo ist der dritte Sack Zement? Und wo ist Adam?
War Adam einer dieser nervenden 85 %? Hat Jakub in Windeseile Beton angerührt und Adam geräuschlos in eine Autobahnbaustelle eingegossen? Hat er Adams Füße beschwert und über ein Brückengeländer gehievt? Wiegt Adam jetzt am Grunde des Mains wie eine riesige, schmutzig-graue Alge und trägt schwere Schuhe von Louis Beton?
Womöglich gehören all die herren-, damen- und kinderlosen Schuhe, die am Seitenstreifen verwesen, nicht LKW-Fahrern, die sie auf den Trittbrettern vergessen haben, sondern plötzlich verstorbenen Beifahrern. Denn in Wahrheit denkt doch jeder Fahrer darüber nach, wie er seinen Mitfahrer beseitigen kann. Gut, wenn dann kein Zement im Kofferraum liegt.
Eure Katze
Text: Margret Meincken
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