Michael Nägler hat einen Traum: Er möchte einmal mit seinem Volvo 850 T-5R am Oldtimer Grand Prix teilnehmen. Jutta hat ihn auf dem diesjährigen OGP am Nürburgring getroffen und schildert das emotionale Wochenende.
Donnerstagmorgen, 10 Uhr. Es regnet in Strömen am Nürburgring. Tribünen, Rennleitungsgebäude und Boxen, alles versinkt im Grau der Regenwolken. Michael Nägler lädt durchnässt und frierend seinen Boliden vom Anhänger. Wenigstens bekommt sein Renn-Volvo einen trockenen Platz im Zelt bei den Tourenwagen. Für den Besitzer heißt es Wohnen und Übernachten im Zugfahrzeug, einem Mittelklasse-Kombi bei Regen und sommerlicher Frische von 12 Grad ein ganz besonderes Vergnügen. Das geht ja gut los.
Schließlich soll der Auftritt des Volvo 850 T-5R im BTCC-Look (British Touring Car Championship) beim Tourenwagen-Revival am Nürburgring Michaels persönliches Jahres-Highlight werden. Einmal mit dem eigenen Rennwagen den heiligen Asphalt der Grandprix-Strecke „erfahren“, im Pulk mit anderen Meilensteinen der DTM-Geschichte aus der Boxengasse heraus starten, die knisternde Anspannung in der Startaufstellung spüren und die von Motorsportgeschichte geschwängerter Atmosphäre der berühmtesten Rennstrecke der Welt inhalieren.
Modellbau in 1:1
Michael hat den Schweden dafür bestens präpariert. Die 280 PS des Fünfzylinders haben mit der um 200 kg abgespeckten Karosse leichtes Spiel. Die Komfortausstattung des ehemaligen Rentnermobils flog raus. Die Batterie wanderte nach hinten, Makrolon-Scheiben ersetzen schweres Glas. Käfig, Schalensitz und Gurte sind das einzige Interieur.
Für einen besseren Durchzug hat Michael die Luftansaugkanäle des Motors vergrößert und eine 3-Zoll-Edelstahl-Abgasanlage mit Renn-Kat montiert. Dass das bei diesem Motor tatsächlich was bringt, weiß er nach diversen Experimenten. Beim Fahrwerk konnte er auf die Erfahrung seines Sponsors bauen. Frank Rauch vom Classic Service aus Schierstein stimmte nach diversen Probefahrten Dämpfer, Stabis und Domstreben optimal aufeinander ab. „Alles eingetragen“, sagt Michael stolz und verweist auf die Straßenzulassung seines Boliden.
Schuld an dem britischen Outfit ist übrigens ein Dekobogen für ein 1:10 Modell des BTCC-Volvo der 96er Saison. „Den hat ein befreundeter Folierer auf Originalgröße hochgerechnet und mir die Klebefolien angefertigt“, erzählt Modellbauer Michael. Die Schwedenflagge auf dem Dach war allerdings seine Idee, sie kaschiert das Schiebedach. ‚IKEA-Racing‘ nennt ihn deswegen sein TÜVler.
Zum Trainingslauf am Freitagmorgen ist es trocken, aber neblig. Typisch Eifel eben. Durchgefroren von einer kalten Nacht auf der Ladefläche seines Kombis, aber mit Herzklopfen bis zum Hals steigt Michael Nägler in seinen Fahreroverall. Gleich wird ein Traum wahr! Mit klammen Fingern schließt er seinen Helm.
Routinierte Geschäftigkeit im Tourenwagenzelt. Viele Teilnehmer haben eine ganze Mechaniker-Crew mitgebracht. Drehmomentschlüssel klacken, es riecht nach hochoktanigem Rennbenzin. Michael ist sein eigener Mechaniker. Er kontrolliert nochmal den festen Sitz seiner GoPro am Kühlergrill, alles andere hat er schon am Vortag gecheckt.
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Mittendrin statt nur dabei
Der Volvo 850 T-5R röhrt beim Anlassen unternehmungslustig. Bei der Startaufstellung in der Boxengasse ist das ungemütliche Wetter bereits vergessen. Die Ampel wird grün, das Feld setzt sich hinter dem Safety Car lautstark in Bewegung. Am Ende der Boxenmauer weitet sich der Blick. Die breite Piste lädt zum Beschleunigen ein, doch der Nebel verschleiert die Tücken des Kurses. Michael ist froh um das vorausfahrende Safety Car. Das gibt nach zwei Eingewöhnungsrunden die Strecke frei.
Sofort ballern die leistungsstärkeren Tourenwagen an Näglers Volvo 850 T-5R vorbei. Allen voran der Audi 200 aus der amerikanischen Trans-Am-Serie, der mit seinen 510 PS und dem überlegenen quattro-Antriebskonzept schon bei seinen hauptberuflichen Einsätzen in den 80er Jahren Kreise um die US-Renner fuhr und deswegen ab 1989 in der Trans-Am-Serie verboten wurde. Mehrere BMW M1 aus der Procar-Serie und der DTM Audi A4 im Rückspiegel ziehen brüllend vorbei und tauchen in den Nebel.
Das Kiesbett kommt gefährlich nahe
Den Renn-Volvo heil nach Hause bringen, ist neben dem Fahrspaß Michaels oberstes Ziel. Und zack – vor lauter Rückspiegelguckerei Bremspunkt verpasst! Das Heck des 850ers bricht aus, das Kiesbett kommt gefährlich nahe. Michael fängt den Gegenpendler noch vor der Asphaltkante ab. Der Volvo zieht sich in die Spur, sein Fahrer beginnt wieder zu atmen.
Inzwischen hat der Pulk mit den BMW M3, Mercedes 190 E2 und Opel Omega EVO 5000 aufgeschlossen. Hier kann der Schwedenrenner gut mitschwimmen. Michael fühlt sich wie Rickard Rydell, dem BTCC-Piloten, der den 850er Volvo 1995 und 1996 erfolgreich auf eine Reihe von Pole Positions und sich auf den dritten Platz der Meisterschaft steuerte.
Das Dauergrinsen ist Michael Nägler an diesem Wochenende nicht mehr aus dem Gesicht zu kriegen, auch nicht, als der 1. Wertungslauf am Freitagnachmittag im strömenden Regen nach wenigen Runden wegen des Crashs eines anderen Teilnehmers abgebrochen wird. „Du sagst dir, fahr vorsichtig und pass auf. Aber du sitzt im Auto, hast das Messer zwischen den Zähnen, und alles ist vergessen. Dann willst du nur noch schnell sein“, sagt er und strahlt.
Eifelwetter erschwert Reifenwahl
Dass die Semislicks trotz des regnerischen Wetters die richtige Wahl sind, zeigt sich dann im 2. Lauf am Samstag. In der halben Stunde dieser Wertung hat es alle Witterungslagen eines typischen Eifelsommers. Ist es in der zweiten Runde zur Bildung der Setzzeit bewölkt und trocken, wird es in den darauf folgenden Runden, in denen die Fahrer ihre gesetzte Zeit bestätigen sollen, feucht und ab der 7. Runde nass.
Michael Nägler und sein Volvo 850 T-5R verkürzen dennoch und entgegen des Grundgedankens dieser Gleichmäßigkeitsprüfung Runde um Runde ihre Zeiten. Die Reifen haben die richtige Temperatur und damit den passenden Grip. Michael gewinnt Streckenkenntnis und hält den Wagen immer konstanter auf der Ideallinie.
Da es die meisten der anderen Fahrer mit den Zehntelsekunden auch nicht so genau nehmen, sondern lieber in dynamischen Turns ihre Fahrzeuge artgerecht bewegen, springt am Ende für Michael noch ein 10. Platz und ein Pokal heraus.
Den erhält aus den Händen des AvD-Präsidenten Fürst Ludwig zu Löwenstein-Wertheim-Freudenberg, während sein Volvo 850 T-5R im Kreise seiner berühmten Tourenwagen-Kollegen im Parc Fermé durch die bewundernden Blicke der Zuschauermenge geadelt wird.
„Jederzeit wieder!“, ruft Michael auf die Frage, ob er beim nächsten Oldtimer Grand Prix wieder dabei sein will. Die kalten Nächte im Mittelklassekombi und der Dauerregen versinken in der Bedeutungslosigkeit. Was bleibt, ist die Faszination des Nürburgrings und das wunderbare Gefühl, Teil dieses aufregenden Rennzirkus zu sein.
Volvo in der BTCC
Bis zum letzten Moment hielten die Schweden 1994 ihren Start bei der britischen Tourenwagen Serie (BTCC) geheim. Nicht mal die Fahrer Rickard Rydell und Jan Lammers wussten vorher, dass sie mit zwei „Rennlastern“ an den Start gehen würden. Die auffälligen 850er Kombis avancierten schnell zu Publikumslieblingen, nicht nur wegen spektakulärer Rennszenen mit den voluminösen Fahrzeugen, sondern auch, weil ein riesiger Plüschhund immer mit an Bord war. Werbewirksamer konnte man sportliche Kombis nicht vermarkten.
1995 und 1996 ging Volvo dann mit der Limousinenvariante, wie Michael Nägler sie fährt, an den Start.
Unter der Haube jedes Volvo 850 BTCC arbeitete ein von TWR modifizierter 5-Zylinder-Motor mit 290 PS, dessen Hubraum gemäß dem Reglement auf 2.0 Liter verkleinert wurde. Dazu wurde in den BTCC-Wagen ein sequenzielles 6-Gang-Getriebe statt der 5-Gang-Schaltung der Serie eingesetzt. Zudem verwendete Volvo als erster Hersteller in der BTCC Katalysatoren in seinen Fahrzeugen. 1997 wechselte man dann auf den S40, mit dem Volvo 1998 den Gesamtsieg in der BTCC einfuhr.
Eure Jutta
Text und Bilder: Jutta Steinbrück-Weiß, Pressefoto Volvo Cars
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