(Achtung, Satire!)

Ich wohne im Rhein-Main-Gebiet. Genauer gesagt in den Bergen des Taunus, deren höchste Erhebung sage und schreibe 880 Meter misst. Bei Temperaturen um den Gefrierpunkt wird diese Region zum Katastrophengebiet. Ohne vorheriges Survival-Training in der Antarktis sollte man wirklich nicht hierherziehen.

Gerade ist es wieder so weit. Seit Tagen werden wir auf die Katastrophe vorbereitet. „Der Winter kehrt zurück“, titelt die Lokalpresse. Wieso zurück? Bislang hat das Thermometer in dieser Jahreszeit – gemeinhin als Winter bezeichnet, also dem Zeitraum von Anfang Dezember bis Ende März – an zwei Tagen für etwa zwei Stunden Minusgrade angezeigt. Einmal ist dabei sogar Schnee gefallen, der bis Mittag liegen blieb.

Aber jetzt – die Apokalypse naht. Alle hessischen Radiosender, private wie öffentlich-rechtliche, warnen seit Tagen vor den Folgen des Winters. Sie überschlagen sich in Katastrophenankündigungen: Straßenglätte, Schneefall, Eiseskälte, Sturmböen, geschlossene Schneedecke, Lawinengefahr, militante Schneemänner.

Tückischer Winter: Wenn Schneemassen den Verlauf des Bordsteins verschleiern und wild tanzende Schneeflocken die Sicht auf Verkehrsschilder behindern, wird korrektes Parken zur Glückssache.
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Tatsächlich – die Straße ist weiß

„Passen Sie auf heute morgen, es ist spiegelglatt draußen! Ich bin heute schon zweimal gerutscht!“, blökt der Moderator morgens um kurz nach sechs aus meinem Autoradio. Danke für diese wichtige Information. Aber die Moderatoren begeben sich ja gerne mal auf Glatteis, wenn auch häufig verbal. Und tatsächlich: Die Straße vor mir ist weiß!

Weiß vor Salz, das die Straßenmeisterei zentimeterdick auf den Asphalt kippt, obwohl in den vergangenen Stunden weder Schnee noch Regen niederschlägt. Glatteis? Fehlanzeige. Nur glitschige Salzpampe.

Wintereinbruch im Taunus – wir sind eingeschneit! Na gut – nur zwei Zentimeter, und auch nur am Straßenrand. Aber wenn es jetzt doch glatt ist? Vielleicht zwischen den Salzkörnern?

Taunusbewohner im Allgemeinen reagieren auf diese Horrormeldungen mit Hamsterkäufen in den Supermärkten und an den Tankstellen, hiesige Autofahrer im Besonderen mit zartem Streicheln des Gaspedals mit ihrer Zehenspitze. Tagelang schleichen sie in ihren Karren die Straßen entlang, ohne dass sich auch nur ein einziger Eiskristall auf den Asphalt wagt.

Völlig losgelöst von den tatsächlichen Straßenverhältnissen und dem gesunden Menschenverstand kriechen anthrazitgraue A-Klassen und perleffektschwarze SUVs im Zeitlupentempo über bestens präparierte Straßen, geeint durch die Angst vor der Winterkatastrophe.

Im Angesicht des Todes

Angesichts der angekündigten Schneeverwehungen und dem daraus resultierenden Verkehrschaos bezweifle ich, dass wir die Tage des Wintereinbruchs lebend überstehen werden. Und wenn die Medien unermüdlich vor Straßenglätte warnen, zur Vorsicht mahnen, zum Vermeiden unnötiger Fahrten auffordern, früheres Aufstehen zur Bewältigung der Fahrstrecke empfehlen und so nach und nach die gesamte Autofahrerschaft des Rhein-Main-Gebiets in Panik versetzen, dann muss es vor der Tür doch lebensgefährlich sein!

In den letzten Tagen hat sich der Wettergott erbarmt und auch den Flachlandtirolern ein bisschen was von der weißen Pracht geschickt. Die Schneemassen brachten den Berufsverkehr, der aus dem Taunus in die Mainmetropole rollt, fast vollständig zum Erliegen. Trotz des 24-Stunden-Dienstes der Straßenmeisterei. Da rutschen hilflose Banker, die extra früh aufgestanden sind, in ihren Oberklasselimousinen beim Bremsen auf einer abschüssigen Straße, LKW-Fahrer scheitern mit ihren runderneuerten Pneus schon an flachen Steigungen, und bebrillte Büroangestellte umklammern mit aufgerissenen Augen das Steuer ihres Hyundai Ceed.

Und wenn man nicht aufpasst, streckt Väterchen Frost seinen Klauen über Nacht nach dem eigenen Vehikel aus. Wo hatte ich das Enteisungsspray nochmal?

Bitte, liebe Leser, ihr müsst das verstehen. Es liegen zwei Zentimeter Schnee! Erstaunlicherweise ist das öffentliche Leben noch nicht völlig zusammengebrochen. Wir haben Strom und Wasser, die Schulen sind noch geöffnet. Nur Autofahren bleibt was für waghalsige Abenteurer, die sich bei diesen Witterungsbedingungen auf die Straße trauen. Quasi im Angesicht des Todes.

Eine Frage bleibt hinsichtlich dieses total verunsicherten Treibens der Autofahrer auf den Taunus-Straßen:
Wie machen das eigentlich die Menschen im Voralpenland, im Schwarzwald oder im Erzgebirge?
Den Menschen im Rhein-Main-Gebiet empfehle ich: Iglu bauen, Winterschlaf halten, auf Tauwetter warten.

Der Wetterbericht hat für die kommenden Tage Schneefall angekündigt. Das Verkehrschaos ist vorprogrammiert, ob mit oder ohne Schnee. Toll!

Eure Jutta


Text und Bilder: Jutta Steinbrück-Weiß

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Jutta Steinbrück-Weiß