Ihr streift gerne über den Kiesplatz, stöbert nach schönen Youngtimern? Und wundert euch über das Angebot an massenhaft guten Gebrauchten? Ich bin am Wochenende in der Dämmerung über unsere Kiesplätze geschlendert – und habe Erstaunliches erlebt.

Ein schwüler Sommerabend, irgendwo im Westen Münchens. Der Feierabendverkehr grollt im Hintergrund, Vögel krächzen auf verstaubten Bäumen. Kubrat Daltschew* pfeift, während er das Lenkrad mit der Airbrush-Pistole schwarz lackiert. Das Lenkrad gehört in einen 3er BMW von 2006, der gerade aus Bulgarien eingetroffen ist. Simeon*, Daltschews Schwiegersohn, färbt Risse und abgewetzte Stellen im schwarzen Leder nach. Den abgegriffenen Schaltknauf und die verschlissenen Pedale haben sie schon ausgetauscht.

In einer halben Stunde kommt Herr Obermaier*, der in einem Autohaus in der Innenstadt arbeitet. Herr Obermaier hat ein kleines Gerät, mit dem er die Laufleistung im Tacho ändern kann. Dazu braucht er fünf Minuten. Und wenn der stumpfe, verkratzte Lack erst aufpoliert ist, sieht keiner mehr, dass der zehn Jahre alte BMW E46 schon neun Vorbesitzer und 456.000 km hinter sich hat. Daltschew will das Auto heute Abend noch in den Gebrauchtwagenbörsen anbieten. Die ausgeschlagenen Vorderachslager, das siffende Getriebe und die poröse Zylinderkopfdichtung wird beim Verkaufsgespräch keiner bemerken. Die Optik zählt.

„Mit Autos aus Deutschland nix Bisness“

Kubrat Daltschew ist gelernter Agrarökonom und kam vor vier Jahren aus dem bulgarischen Plovdiv nach Deutschland. Er trägt ein schmutziges Feinrippunterhemd und ausgebeulte Shorts. An einer Gürtelschlaufe hängt ein großer Metallring, an dem 34 Autoschlüssel klimpern. Drei Zähne fehlen dem 58-jährigen, zwischen den übrigen Stummeln klemmt eine Zigarette. Daltschew schlurft zu seinem Büro, einem Container am Rand seines Verkaufsgeländes. Im Container stinkt es nach Tabak, Schweiß und Mastika. Fahrzeugscheine und Blankoverträge türmen sich auf dem alten Schreibtisch, den Daltschew aus dem Sperrmüll gezogen hat. In einer Ecke lagern Farben, Lackstifte und angebrochene Ölflaschen.

Die meisten Autos auf Daltschews Kiesplatz sind erst ein paar Jahre alt. Am besten laufen Mercedes und BMW. In optisch gutem Zustand. Die Gebrauchtwagen kauft er für kleines Geld in Italien, Ungarn oder Bulgarien. Auf klapprigen Autotransportern werden sie über den Balkan nach Deutschland gekarrt. „Mit gebrauchte  Auto aus Deitschland nix Bisness“, erklärt Daltschew. Er blickt über den Platz zu seinem Wohnhaus, einer morschen Holzbaracke, vor der zwei Wäscheleinen baumeln. Darunter sitzen Frauen mit bunten Kopftüchern und Männer mit stark behaarten Oberkörpern auf schiefen Plastikstühlen.

Ein zweijähriges Kind, mit einer Stoffwindel bekleidet, gräbt mit den Fingerchen im Schotter und häuft Sand über eine hinkende Spinne. Vom Nachbarplatz schlurft ein junger Mann heran. Er begrüßt Daltschews Mutter Luna und hält drei Finger in die Luft. Luna Daltschewa* grinst zahnlos. Hellgrüne Augen funkeln in dem faltigen, braungebrannten Gesicht. Sie humpelt in die Baracke und mit drei Stangen Zigaretten unter dem Arm wieder heraus.

„Keine Rost, mit TUV und Ke-lima“

Vom Gebrauchtwagenhandel allein können die Daltschews nicht leben. Neben Autos verkaufen sie noch Zigaretten und Schnaps. Bei der Familie sitzt der Fahrer des Autotransporters. In einer halben Stunde fährt er zurück nach Bulgarien. Die Unfallwagen hat er bereits aufgeladen. In Topolovgrad, einer kleinen Stadt an der türkischen Grenze, werden sie wieder geradegeklopft.

Am nächsten Morgen schlendert eine junge Frau mit ihrem Vater über den Kiesplatz. Sie ist Anfang 20, hat gerade ihre Ausbildung abgeschlossen. Zur Belohnung möchte sie sich ihr erstes eigenes Auto kaufen. „Keine Rost, mit TUV und Ke-lima. Fährt einbahnfrei“, preist Daltschew den 3er an. „Sieht ja noch recht neu aus“, brummelt der Vater und rät seiner Tochter schließlich zum Kauf.

Die junge Frau bezahlt 8.499 EUR und steigt in ihr erstes eigenes Auto. Glücklich steuert sie den BMW E46 vom Hof – mit gepflegter Lederausstattung, zwei Vorbesitzern und erst 158.000 km.


Das ist unser achter Text in der mehrteiligen Reihe „Wer fährt eigentlich…?“

Welche Menschen fahren welches Auto? Und warum? Weil die Wahl des eigenen Autos von Beruf, Lebensabschnitt und dem eigenen Selbstbild abhängt. Wir alle passen in dieses Muster. Ich habe den Alltag auf deutschen Straßen beobachtet und porträtiere Menschen in und mit ihrem Fahrzeug – mal zugespitzt, mal melancholisch, aber immer mit einem Augenzwinkern.

Lest auch Teil 7 und Teil 6: Wer fährt eigentlich Renault Twingo und VW Phaeton?


Illustration: © Cliv
* Namen von der Redaktion geändert

Eure Katze


Text: Margret Meincken

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