Hey, ihr da draußen,

ich möchte mich bei euch entschuldigen. Ich habe schon lange nichts mehr auf V8-Kultur geschrieben. Nicht mal ein kleines Lebenszeichen. Cool, dass ihr immer noch hier seid. Hier bei mir, in meinem Wohnzimmer.

Nun sitzen wir also hier, in meinem Wohnzimmer, draußen wird es Herbst, der Regen riecht nach erstem Schnee. Lehnt euch zurück, macht es euch gemütlich. Ich möchte euch erzählen, was in den letzten Monaten passiert ist. Ich möchte euch erzählen von Nahtoderfahrungen, Stahlklo-Inseln und einem Ereignis in den Tiroler Bergen.

Der Übeltäter

Es ist Dezember, kalt und klar der Abend, eine Fotoproduktion gerade beendet. Gemeinsam mit dem Fotografen stehe ich vor meinem Auto, rauche, friere, plaudere. Wir sagen, wie sehr wir uns auf Weihnachten freuen, den Winterurlaub, Ruhe und Besinnlichkeit… bla bla. Meine Pläne sollen in der darauffolgenden Woche kräftig ins Wanken geraten.

Ich steige in meinen Audi V8 und drehe den Zündschlüssel. Das 4.2 Liter-Motörchen brabbelt zufrieden im Maschinenraum. Das Kombiinstrument piepst, weil irgendeine Lötstelle (oder mehrere) hinüber ist. Das ist normal. Unterhalb des angezeigten Durchschnittsverbrauchs geht eine hellrote Sonne auf, dort, wo sich die Folie ablöst. Das ist auch normal. Batterie- und ABS-Warnlampe leuchten grell auf – und bleiben an. Das ist nicht normal.

Die Warnleuchten im Kombiinstrument signalisieren, dass die Lichtmaschine nicht mehr richtig lädt.

Aber nach neun Jahren Audi V8 im Alltag bringen mich diese Anzeigen nicht mehr so schnell aus der Ruhe. Ich nehme zur Kenntnis, dass der Lichtmaschinenregler seinen Dienst quittiert hat und fahre nach Hause. Das Kraftwerk unter der Rücksitzbank reicht für 40 km Landstraße, auch ohne funktionierenden Regler.

Über das Klimabedienteil lässt sich der Fehlerspeicher auslesen. Die Lichtmaschine lädt nur noch mit 12,0 Volt. Das ist deutlich zu wenig.

Ein paar Tage später fahre ich meinen alten Kahn behutsam, ohne Heizung und ohne Licht, mit einer halbleeren Batterie nach Starnberg zu Torsten. Ein neuer Regler wird bestellt. Zwei Tage hängt der Dicke auf der Scherenbühne und wartet auf Strom. Dann bauen wir den neuen Regler ein. „Läuft“, rufen wir in die Nacht hinaus und freuen uns. Ganz kurz.

Im Motorraum klackert es unheilvoll. „Motor aus!“, brüllt Torsten. Wir starren uns an. Was ist das? Torsten, der normalerweise nahezu buddhistische Züge hat, rauft sich die schwarzen Haare. „Die Wasserpumpe schlägt irgendwo an. Da muss alles neu gemacht werden. DAS AUTO FÄHRT KEINEN METER MEHR!“. Kurz vor dem Urlaub. Ich hasse meinen V8.

Kennt doch jeder: Es kommt immer schlimmer als man denkt.

Die Nahtoderfahrung

Christian ist skeptisch, glaubt nicht an die Wasserpumpe. Er löst die Zahnriemenabdeckung auf der Fahrerseite. Drei bleiche Gesichter starren dorthin, wo zwingend alles in Ordnung sein sollte. Der Riemenspanndämpfer allerdings sieht nicht so aus, als wäre er in Ordnung. Die Feder ist gebrochen, das abgebrochene Stück hat sich verhakt und kommt dem Riemen gefährlich nah. Keiner sagt etwas, aber jeder denkt: Das war´s, leb´ wohl, Baby.

Das untere Stück der Feder des Riemenspanndämpfers ist abgebrochen.

Wir entscheiden uns für den minimalinvasiven Eingriff, also einen neuen Spanndämpfer, und nicht für die Total-OP, also einen Zahnriemenwechsel. Ich bitte Torsten, mit dem Einbau des neuen Dämpfers zu warten. „Ich will dabei sein, wenn er stirbt“, sage ich. Aber Torsten kann nicht warten. Schon am Nachmittag bastelt er an meinem V8 herum, setzt den neuen Spanndämpfer ein, startet den Motor.

Der alte ABH brummt, hustet kurz, freut sich über die Wiederbelebung und gullert genüsslich vor sich hin. Am Abend komme ich, um meinen treuen Begleiter abzuholen. Es sei sein zweiter Geburtstag, sagt Torsten. Und: „Du hast mehr Glück als Verstand“. Stimmt. Das muss auch mal sein. Mein V8 lebt. Ich liebe meinen V8.

So sieht der gebrochene Spanndämpfer des Zahnriemens in ausgebautem Zustand aus.

Übrigens: Ein halbes Jahr später erfahre ich, dass der Riemenspanndämpfer gesichert ist und – wenn er bricht – nichts passieren kann. Ich würde es allerdings nicht dauerhaft testen.

Die Stahlklo-Insel

Inzwischen ist es März, immer noch kalt, aber nicht mehr klar, sondern feucht und neblig. Mit Christian fahre ich nach Stuttgart auf die Retro Classics. Nicht etwa, um Autos anzuschauen, sondern um gefühlte neun Stunden lang für die Auto Bild Klassik vor der Kamera zu posieren. Das hört sich auf jeden Fall weniger anstrengend an, als es tatsächlich ist. (Mimimi… jaja, ich weiß. 😄)

Das Shooting auf der Retro Classics sieht deutlich entspannter aus, als es tatsächlich ist.

Hungrig und müde, mit schmerzenden Füßen, verlassen wir gegen 20 Uhr das Messegelände, schlüpfen unter der Bosch-Brücke des Stuttgarter Flughafens durch, brummen weiter, vielleicht noch zehn Kilometer, bis die rote Beleuchtung des Kombiinstruments immer schwächer wird. Auch bleibt es verdächtig kühl in dem alten Kahn. Der Wärmetauscher ist doch grade neu…

So kann ich nicht weiterfahren, also steuere ich eine dieser unsäglichen Stahlklo-Inseln an. „Wenn ich ihn jetzt ausmache, wird er nicht mehr anspringen“, murmle ich vor mich hin. So ist es dann auch. Neuer Regler hin oder her, die Lichtmaschine mag nicht mehr. Inzwischen haben wir ja Erfahrung darin, an den stählernen Fäkalienboxen zu stranden.

Unser lieber Freund Jens springt kurzerhand in seinen Renault Kangoo und braust über den Aichelberg, beladen mit einer Ersatzbatterie und kalten (!) Getränken. Mit einem Überbrückungskabel hängen wir die neue an die alte Batterie und bringen den schwächelnden V8 sicher nach Aufhausen. Dort bekommen wir belegte Brote, heißen Tee und der Audi einen Parkplatz, gleich unterhalb der Kirche. Zwei Wochen wird er dort auf uns warten, bis wir mit einer neuen Lichtmaschine auftauchen.

Bei der überholten Bosch-Lichtmaschine muss nachgebohrt werden, damit sie passt.

Merke: Das Spiel mit dem Regler-Tausch funktioniert nicht beliebig oft – das macht der Kollektor nicht mit.

Der Neue

Nachdem wir unseren treuen Volvo 850 in gute Hände abgegeben haben, sehnen wir uns wieder nach einem schönen BMW E38. Die Suche nach einem geeigneten 7er entwickelt sich zu einer grausamen Odyssee. Wir fahren von Frankfurt nach Koblenz nach Mannheim bis nach Wiesbaden. In Wiesbaden schließlich kaufen wir einen BMW 728i in Fjordgrau mit mehr als 320.000 km.

Unser neuer: Ein BMW 728i von 1997 in Fjordgrau und mit mehr als 320.000 km.

Außer einer losen Zündkerze und einem defekten Radlager scheint er zunächst kerngesund, ein CO-Test bleibt negativ, die Karosse ist gepflegt, rostet nicht. Drei Monate später fängt das Bläuen an. Inzwischen sieht unser schöner Gleiter aus wie ein Tintenfisch auf der Flucht. Kennt sich wer mit betagten M52-Motoren aus? Bitte melden. 😇

Memo an mich: Bleib´ dir endlich treu und kauf´ nur noch Achtzylinder!

Das Happy End

Mein Audi V8 hat mich die letzten Monate ganz schön auf Trab gehalten, dennoch bereue ich keinen einzigen Tag der vergangenen neun Jahre. Ich habe ihm viel zu verdanken. Es ist, als hätte er mich in mein richtiges Leben gefahren, zu den richtigen Menschen, den richtigen Entscheidungen. Ich habe ihm zu verdanken, dass ich am 8. August, in einem Seitental der Lechtaler Alpen, geheiratet habe. Den Mann, denn ich im Sommer 2008 in einer Autowerkstatt kennengelernt habe.

Happy End in den Tiroler Bergen. ©Sveinn Baldvinsson

Ich habe mich hierzu schon zu einem kleinen Liebesbrief in der Auto Bild Klassik 10/2017 hinreißen lassen. Ihr könnt ja mal reinschauen.

Mein Liebesbrief an den Audi V8 in der Auto Bild Klassik 10/2017

Hey, ihr seid ja immer noch da. Danke, dass ihr bis zum Schluss gelesen habt!

Ich verspreche euch, dass ich euch in Zukunft auch hier, in meinem Wohnzimmer, wieder mehr Geschichten erzähle werde.

Auf bald, eure Katze


Text und Bilder: Margret Meincken
Titelbild und Hochzeitsbild: Sveinn Baldvinsson von worldwildwedding

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