In der Großstadt sind Autos unpraktisch. Der Verbrauch ist zu hoch, der Vekehr zu dicht, das Nervenkostüm zu dünn. Wer schnell ans Ziel kommen will, fährt besser mit den öffentlichen Verkehrsmitteln. Oder? Wir, Dennis und Katze, probieren es aus. Insgesamt vier Zielpunkte gilt es, auf dem schnellsten Wege zu erreichen. Dennis mit den Öffentlichen, Katze mit dem Auto. Allerdings fährt Katze keinen Smart, sondern einen 4,86 m langen Audi V8, für den sie auch einen Parkplatz finden muss. Klingt chancenlos. Aber vorher aufgeben gilt nicht. Los geht´s!

Auto gegen U-Bahn - Wer kommt bei der MucChallenge 2015 schneller ans Ziel?
Screenshot © Google Maps

[xyz-ihs snippet=“TextBild-Mitte-responsive“]

Vor dem Start disqualifiziert

Bevor wir in Pasing starten, hat Katze die Challenge eigentlich schon gewonnen. Dennis sucht verzweifelt einen Geldautomaten und erhält einen Fünfziger, mit dem er am Automaten kein Tagesticket ziehen kann. In einer Bäckerei will die Verkäuferin nicht wechseln, wenn er nichts kauft. Katze holt ihn am Bahnhof ab, fährt mit ihm zur Bank und drückt ihm großzügig einen 10er in die Hand. Dann tankt sie ein paar Liter Super Plus. Autofahren ist ziemlich entspannt. Noch.

Strecke 1, 10.30 Uhr

Start: Pasinger Bahnhof, Wensauer Platz.

Ziel: Saturn/OEZ, Hanauer Straße.

Katze

Die perfekte Uhrzeit, um tiefenentspannt durch München zu gleiten. Ich gondle über den Wintrichring, biege in die Hanauer Straße ein und erreiche das Ziel bereits 12 Minuten später. Allerdings behindern zwei Baustellen die Parkplatzsuche. Die Tiefgarage des Saturn ist nur über den engen Parkplatz des Elektronikmarkts erreichbar. Die Zufahrt gleicht einem Nadelöhr. Ich manövriere meinen V8 in die winzige Tiefgarage, die nicht für Limousinen gemacht ist. Das muss sich auch der Touranfahrer gedacht haben, der seinen Pampersbomber direkt auf der Fahrbahn abgestellt hat. Durch die Tiefgarage wabert schwüle Luft. Ich steige über die Ausfahrt ins Sonnenlicht hinaus. 18 Minuten hat die Parkplatzsuche gefressen. Punkt 11.00 Uhr stehe ich vor dem Saturn.

Dennis

Ich laufe zum Automaten und kaufe mein Ticket. Das Wechselgeld kommt in einem 2-Euro-Stück und 18 (ja, achtzehn!) 10-Cent-Stücken aus dem Automaten gekullert. Es klappert und scheppert, Menschen starren mich an. Schnell klaube ich das Geld auf. Gefühlte 2 Kilo schwerer renne ich die Rolltreppe zum Bahnsteig hoch. Am oberen Ende stolpert mir eine verwirrte Asiatin in den Weg. Ich weiche knapp aus und springe in die abfahrbereite S-Bahn. Der Zug steht auf der Strecke und wartet. Ich beherrsche mich. Das Baby im Kinderwagen tut es nicht. Es bekommt einen Wutanfall.

Ich fliege die Treppe zur U-Bahn hinunter und sehe eine junge Frau, die sich mit einem riesigen Koffer plagt, der fast so groß ist wie sie. Ich beschließe, ihr zu helfen. Doch sie kommt unten an, bevor ich sie erreiche. Dann bemerke ich den Typen neben ihr, blond, Hornbrille, paar Pickel im Gesicht, vielleicht etwas schmächtig, aber größer als die Frau. Er jammert, wie schlimm er es in seinem Werkstudentenjob hat, weil er in einem Raum mit vielen Computern arbeitet.

10:46 Ich steige in die U1. Der Typ im Anzug kann nicht warten, quetschst sich vor und rennt mich um. Es ist heiß! Erste Schweißperlen stehen mir auf der Stirn. Der Blutdruck liegt bei 130:85, der Puls 100. Ein Pärchen steigt ebenfalls ein und kriecht Händchen haltend immer näher. Zwei Haltestellen vor dem Endhalt: Die Türen schließen sich schon, doch eine Frau wuchtet ihr Übergewicht in den Zug. Na ja, fast. Sie bleibt – wenig überraschend – zwischen den Türen stecken. Ich verliere wertvolle Sekunden, bis der Zug endlich weiterfährt! 10:58 Ich komme am Olympia-Einkaufszentrum an. Die Tür öffnet sich und ich sprinte los. Von links schiebt sich ein Kinderwagen in meine Bahn. Ich bremse ab, weiche aus, touchiere die Wand und schramme an ihr entlang. 11:00. Ich komme am Treffpunkt an. Katze wartet schon.

Strecke 2, 11.10 Uhr

Start: Saturn/OEZ, Hanauer Straße.

Ziel: Media Works Munich am Ostbahnhof.

Katze

Die hellroten Zahlen des Thermometers zeigen 28,5 Grad an. Die Luftfeuchtigkeit liegt bei gefühlten 88 %. Die Schwüle macht meinem alten Kahn seit ein paar Jahren zu schaffen. Die Klimaanlage versucht, den Innenraum mit dem letzten Rest R12 zu kühlen. Auf dem Mittleren Ring fließt der Verkehr. Gut für Mensch und Maschine. In der Anzinger Straße liefere ich mir – aus Langeweile und mangels vernünftiger Alternative – ein Ampelrennen mit einem Fiat Punto. Dann blubbere ich durch einen großen Torbogen auf das Gelände des Media Works, parke um 11.35 Uhr im Halbschatten und warte auf Dennis.

Dennis

11:15. Ich sitze in einer fast leeren U1 und bereite mich auf den Sprint am Hauptbahnhof vor. Ein älterer Herr setzt ich neben mich, während ich mir Notizen mache. Er versucht meine Hieroglyphen zu entziffern, scheitert und setzt sich um. Mir ist heiß! Der Zug ist aus dem mobilen Steinzeitalter. Klimaanlagen waren in den Anfangstagen der Münchner U-Bahn nicht vorgesehen. Ich schwitze. Und bin nicht der Einzige: Ein Mittfünfziger mit Schmerbauch steigt ein. Er hat einen perfekten Kreis aus Salzkristallen um seine Wohlstandsplautze.

Ich steige am Hauptbahnhof aus und spurte die Treppen zur S-Bahn hinauf. Die Hitze auf dem Bahnsteig trifft mich wie eine Keule. In der S-Bahn verspeise ich ein Gummi-Auto aus meinem XXL-Pack Nervennahrung und hoffe, dass der Voodoo-Zauber wirkt. Diesmal schlage ich Katze bestimmt! Am Marienplatz steigt ein Mann ein, der noch verschwitzter ist, als ich. Sein T-Shirt klebt am Körper, er ist vollkommen aus der Puste, sackt auf den Boden. Dann packt er ein belegtes Brötchen aus und beißt ab. Mit lautem Klappern schlägt sein Mobiltelefon auf dem Boden auf.

11:47. Ich komme an der Medienbrücke an. Katze und der V8 warten schon.

Mittagspause – eine Zwischenbilanz

Dennis ist verschwitzt, durstig und genervt. Er überlegt, abzubrechen. Katze muntert ihn auf und schlägt ein Mittagessen in den Optimolwerken vor. Schließlich hält Essen Leib und Seele zusammen. Im Schatten einer verstaubten Hecke bestellen wir Krüge mit Johannisbeer-Schorle und wagenradgroße Teller mit Schnitzel und Pommes. Und während Dennis langsam trocknet, glaubt Katze vorsichtig an einen Sieg. Doch die schwerste Strecke steht noch bevor.

Strecke 3, 14.00 Uhr

Start: Media Works Munich am Ostbahnhof.

Ziel: Tengelmann, Fürstenrieder Straße 273.

Katze

Ich füttere den Parkautomaten mit 3,00 EUR und sacke vollgefressen auf den Fahrersitz. Der ist inzwischen so heiß, wie ihn die Sitzheizung im Winter eigentlich aufheizen sollte. Der betagte Klimakompressor brummt im Maschinenraum. Aus den Luftduschen tröpfelt kühle Luft. Ich krieche die Rosenheimer Straße hinunter. Die Öldruckwarnung kreischt. Ein blinkendes, rotes Kännchen erinnert mich daran, dass es meinem Audi V8 jetzt ECHT zu warm ist. Denn: Die Öldruckwarnung wird fälschlicherweise durch eine bestimmte Temperatur des Kombiinstruments ausgelöst, und nicht etwa, weil der Öldruck fällt.

IMG_1256

Ich folge der Navigations-Tante wie in Trance, grolle durch Wohnsträßchen in Haidhausen und brause über den Candid-Platz in die Brudermühlstraße. Meinen Fehler bemerke ich erst, als ich schon stehe. Der Fehler heißt Luise-Kiesselbach-Platz. Die Wassertemperatur steigt auf 98 Grad. Mein schwarzes Top pappt zwischen Leder und Haut wie geschmolzener Käse in einem matschigen Burger. Das Lüfterrad kreischt wie eine abgehalfterte Drossel auf Chrystal Meth. Verdrossen piept die Öldruckwarnung dazwischen. Ich starre auf die ruhende Blechlawine.

Mit der atemberaubenden Geschwindigkeit einer Wanderdüne schwappe ich über den Luise-Kiesselbach-Platz. Auf der B2R verpasse ich meine Ausfahrt und verliere wertvolle Zeit bei einem U-Turn. Okay, denke ich, eine Strecke kannst Du verlieren. Um 14.30 Uhr parke ich auf dem Tengelmann-Parkplatz. Ich hole mir eine Tasse Kaffee und setze mich in den Schatten. Dann schreibe ich Dennis einen Nachricht. Hat keinen Empfang. Steckt wohl noch in der U-Bahn.

Dennis

Ich bin ausgeruht, trocken und gestärkt. Doch schon nach wenigen Metern Fußmarsch in Richtung Karl-Preis-Platz steht mir wieder der Schweiß auf der Stirn. Die U2 ist leer. Neben mir steht ein Kinderwagen. In dem sitzt ein unerzogenes Blag und schreit sich aus Spaß oder Frust oder beidem die Seele aus dem Leib. Die Tonhöhe verursacht Schmerzen, die Lautstärke zerfetzt Nerven, Glas, Stahl. Die Mutter sitzt seelenruhig daneben und hört Musik. Das dumme Blag kaut auf einem Eisstiel herum. Dann zerbricht es den Stiel und bewirft andere Fahrgäste mit den Holzstücken. Mutter und Kind steigen mit mir aus.

IMG_2347

14:29 Eine neue U-Bahn fährt ein. Ich freue mich, die Züge der dritten Generation haben eine Klimaanlage. (Für Kenner: Die zweite Generation unterscheidet sich von der ersten nur in der durchgehenden Frontscheibe und an den Türen, bei denen beide Flügel beim Zug an einem einzelnen Griff aufgehen). 14:30 Die Klimaanlage ist kaputt. Ich bin am Holzapfelkreuth. Der Anschluss-Bus soll eine Minute nach meiner Ankunft fahren. An der Bushaltestelle sehe ich eine ausgeschaltete Anzeige für die nächsten Abfahrten. Daneben hängt ein Zettel „Bushaltestelle ab dem 14.08. verlegt“. Es ist Juli, kein Problem. Oder?

Ich schaue mich um und sehe eine Ersatzhaltestelle. Und wartende Leute. Den Bus, der an die Haltestelle fährt sehe ich dann auch. Zwischen uns 100 Meter und eine Kreuzung. Ich erreiche den Bus und hüpfe hinein. Er fährt am vereinbarten Treffpunkt vorbei, ich schaue aus dem Fenster und sehe niemanden. Sollte ich? Wirklich? Gewinnen? Ist Katze nicht da? Ich steige aus, haste durch die Unterführung, springe die Treppen hinauf. 14:40. Mein Telefon vibriert und ich schaue darauf. Nachricht von Katze: „Ich sitze schon.“

Strecke 4, 15.00 Uhr

Start: Fürstenrieder Straße 273.

Ziel: Ruhmeshalle, Theresienhöhe.

Katze

Ich rolle die Fürstenrieder Straße hinunter. Inzwischen hat es 33 Grad. Ein typischer Sommernachmittag in München. LKW drängen in die Innenstadt, Fußgänger schleppen sich über die Straße, SUV-Fahrer strecken die linke Hand aus dem Fenster, geschmückt mit Rolex und Kippe. In der Plinganserstraße dreht das Lüfterrad wieder auf, die Öldruckwarnung stimmt freudig mit ein. Ich schalte die Klima aus. Das Lüfterrad schweigt. Die Öldruckwarnung auch. Ungläubig starre ich auf mein Mäusekino. 25 Sekunden später sitze ich in einer Biosauna. Fenster auf. Oh, good old Mexican Air Condition. Trotz beginnendem Berufsverkehr komme ich gut durch und parke auf der Theresienhöhe.

Um 15.20 Uhr schlendere ich über einen Kiesweg zur Ruhmeshalle und beobachte die Geschäftigkeit auf der Theresienwiese. Der Aufbau des Oktoberfests ist bereits in vollem Gange. Ich setze mich zu den Füßen des Münchner Wahrzeichens, in den stählernen Schatten der Bavaria. Eine ältere Dame kommt angeradelt, stützt ihr Klapprad ab und setzt sich zu mir. Sie sucht das Gespräch. Ich erzähle ihr von unserer Challenge und dem überraschenden Ergebnis. Wir lachen viel. 15 Minuten später steigt Dennis zur Ruhmeshalle auf. Atemlos, mit nassem T-Shirt und fleckigem Gesicht. Er wischt sich den Schweiß von der Stirn in die Haare und zaubert eine völlig neue Frisur. Er sieht aus wie Michael Douglas in ‚Falling Down‘. Wer hatte damals kein Verständnis für den Mann mit der Pumpgun?

  • Verbrauch: 10 Liter Super Plus
  • Temperatur max.: 98 Grad Wassertemperatur
  • Stresslevel: Immer noch gut gelaunt.

Dennis

Ich steige in den Anhänger des Metro-Bus. Der Motor ist vorne, hinten im Hänger hoffentlich eine Klimaanlage! Die Hitzekeule schlägt mitten ins Gesicht. Keine offenen Fenster, keine Klimaanlage. Nur Hitze! 50 Grad, die heiße Luft überrollt mich, füllt meine Lungen, verbrüht meine Haut. Die Sonne glüht durch die Fenster, mein Augenweiß stockt innerhalb von Sekunden, ich koche.

Ich hasse Busse. Mir ist egal, ob ich diesen letzten Abschnitt gewinne, ich will nur lebend hier raus. Schweiß rinnt meinen Rücken hinunter, kitzelt zwischen den Schulterblättern. Schweiß tropft mir in die Augen, brennt, meine Kontaktlinsen jucken. Sogar in der Kniekehle spüre ich einen Schweißtropfen, der langsam der Schwerkraft folgt.

15:20 Ich sitze in der U5 und leere meine volle Halbliterflasche Wasser in einem Zug. Mein Telefon vibriert schon wieder. Katze gibt durch: „Habe Parkplatz“. Ich steige gerade an der Theresienwiese aus. Ein Radfahrer kommt und sieht mich. Vor, hinter, neben, auch über sogar unter mir ist kilometerweit Platz. Aber er fährt genau auf mich zu, mit Absicht. Ich springe zur Seite und schimpfe vor mich hin. Auch ich kann Münchner Freundlichkeit!

IMG_2357

Dank Oktoberfestaufbau muss ich komplett um die Theresienwiese herumlaufen, anstatt einfach quer über sie. 15:40 Ich komme an. Triefend nass und erschöpft werfe ich mich auf die Stufen der Ruhmeshalle und füge mich zu den Füßen der Bavaria in meine Niederlage.

  • Verbrauch: 1 Jumbo-Tüte Haribo, 2 Flaschen Wasser
  • Temperatur max.: gefühlte 41 Grad Körpertemperatur
  • Stresslevel: Wo ist die Pumpgun?

Unser Fazit

Die Behauptung, man käme mit den Öffentlichen schneller ans Ziel, haben wir eindeutig widerlegt. Sobald man in München nicht nur auf der Stammstrecke (so nennt man den S-Bahn-Strang zwischen Pasing und Ostbahnhof) unterwegs ist, hat man verloren. Ein Problem für Autofahrer ist die Parkplatzsuche, die fast ein Drittel des gesamten Stadtverkehrs ausmacht. Der Ausbau eines sinnvollen Parkleitsystems und der „grünen Welle“ könnte Abhilfe schaffen. Wer neben Pünktlichkeit noch Wert auf die Körperhygiene legt, kommt mit dem Auto entspannter und gepflegter an.

Text und Bilder: © Katze und Dennis Sahl

Ähnliche Artikel lesen

Bermudadreieck Autobahn: Wo ist Adam?

Bermudadreieck Autobahn: Wo ist Adam?

85 % aller Fahrer sind von ihren Beifahrern genervt. Die Reise wird zum Desaster, gipfelt in Familienkrise, Trennung. Oder sie nimmt ein unheimliches Ende, so wie für Adam.

Auftakt meiner neuen Kolumne

mehr lesen
Kamelrennen auf der Autobahn

Kamelrennen auf der Autobahn

Die Deutschen haben ein gestörtes Verhältnis zur Autobahn. Sie pochen auf ihr Recht, müssen immer die schnellsten sein und überschätzen sich dabei gnadenlos. Dennis schildert seine Erfahrungen – und regt zum Nachdenken und Diskutieren an!

mehr lesen
So frei wie nie. Oder?

So frei wie nie. Oder?

Angeblich sind wir heute so frei wie nie. Wir dürfen unsere Meinung äußern, wählen einen Beruf, der uns gefällt und können uns frei bewegen. Es gibt keine Grenzen mehr. Zumindest keine sichtbaren. Denn in Wahrheit waren wir noch nie so fremdbestimmt wie heute.

mehr lesen
Katze