Vor einigen Wochen spielte ich mit dem Gedanken, meinen V8 zu verkaufen. Ich ließ mich hinreißen von anderen Schönheiten, die mich mit ihrer Unkompliziertheit und Schlichtheit lockten. Sirenengesänge in meinen Ohren von günstigeren Ersatzteilen und weniger Verbrauch hallten in meinen Ohren wider.

Und tatsächlich kam ich ins Grübeln, zauderte, zögerte und spielte die Idee ernsthaft durch, ein Leben ohne meinen alten Audi zu führen. Ich glaubte, mich für etwas Jüngeres und Agileres trennen zu müssen, und hatte nur wenige Tage, nachdem der Gedanke geboren wurde, bereits mehrere potenzielle Käufer an der Hand. Doch als es ernst zu werden drohte, machte ich einen Rückzieher. Ich konnte es nicht. Manchmal sind Trennungen heilsam, befreiend und sogar notwendig. Diese wäre katastrophal gewesen. Das weiß ich heute.

Lieber Audi V8, ich muss mich bei Dir entschuldigen. Ich habe geflirtet. Nicht nur einmal. Mit jüngeren. Mit Cabrios, Mustangs und Firebirds. Ich weiß, dass Du das gespürt hast. Aber Du bist mir einfach auf die Nerven gegangen mit Deinen ewigen Wehwehchen, deinen UFO-Bremsen, deinem leise vor sich hin siffenden Differenzial und Deiner Trinkerei. Naja, Sauferei trifft es eher. Und immer Super Plus, bloß kein billiger Fusel. Deine Gier nach Sprit und Öl, Deine Profilneurose.

Wärest Du noch ein Kind, hättest Du bestimmt ADHS und müsstest mit starken Mitteln behandelt werden. Ja, wenn ich ehrlich bin, halte ich Dich für einen Soziopathen. Aber der Beruf des Auto-Psychologen muss vermutlich erst noch erfunden werden, damit Du eine Sitzung bei ihm besuchen kannst. Mag sein, dass ich übertreibe, aber ich war einfach an einem Punkt angelangt, an dem ich Deine Marotten nicht mehr ertragen konnte.

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Dabei verehre ich Dich. Immerhin hast Du sehr viel für mich getan. Und Du bist sexy – ich mag Deinen kräftigen Körperbau. Du bist stark, aber kein Prolet. Du bist muskulös und elegant zugleich. Ich liebe Deine tiefe Stimme, das saftige Gurgeln, das aus den Endrohren der CAC-Abgasanlage blubbert. Ich mag Deinen Look, die Farben, in denen Du Dich kleidest. Du hast Stil und zeigst es auch. So mancher Jungspund könnte sich eine Scheibe von Dir abschneiden.

Für Dein Alter siehst Du sogar noch ziemlich gut aus, hast kaum Dellen oder Kratzer im Lack. Gut, Du hast ein paar Falten im Leder und bist ganz leicht inkontinent, aber dafür gibt es ja „LecWec“, die Seniorenwindel für den betagten Youngtimer sozusagen. Aber das sind Kleinigkeiten, mit denen ich leben kann. Auch in Zukunft. Das weiß ich heute.

Du hast geahnt, dass ich über eine Trennung nachdachte. Du hast mich durchschaut, das konnte ich spüren. Deine Drehzahlschwankungen, Zündaussetzer und Stottereien waren klare Anzeichen dafür. Und Du hast mich bestraft dafür, dass ich über das Fremdgehen nachgedacht habe. Weißt Du noch im Stau auf dem Mittleren Ring? Du hast mich einfach stehen lassen – mitten im Petueltunnel. Du wusstest genau, dass der gemeine Münchner nach ungefähr drei Millisekunden fluchend auf seine Hupe einschlägt, wenn man nicht die zwei Meter zum Vordermann aufschließt.

Wahrscheinlich hast Du leise in Dich hineingelacht. Ich könnte es Dir nicht verübeln. Damals im Petueltunnel versprach ich Dir, dass ich Dich nie verkaufen werde. Ich streichelte Dir sanft über das Armaturenbrett. Ich hatte ausgesprochen, was für Dich so wichtig war. Zum Dank hast Du die Maschine wieder angeschmissen und Dir zwei Tage später sogar brav den Fehlerspeicher auslesen lassen. Häufig verrätst Du ja nicht, was Du hast; sagst nie, was Du denkst. Aber an diesem Freitag, bei Torsten, hast Du es gleich ausgespuckt. Der Leerlaufschalter hatte sich leicht verstellt, wahrscheinlich aus Trauer. Das weiß ich heute.

Ich werde Dich nicht verkaufen. Aber ich kaufe irgendwann noch einen Spielkameraden für Dich. Wer weiß, vielleicht werdet Ihr ja Freunde – was meinst Du?

Deine Katze

PS: Die Fortsetzung der Profilneurose meines Audi V8 lest ihr in den Geschichten Heiß, heiß Baby und Die Seele alter Autos.


Text und Bilder: Margret Meincken

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