Der VW Phaeton steht vor dem Aus. In ein paar Tagen rollen die letzten Exemplare aus der Gläsernen Manufaktur. Dabei hat die Limousine, die aussieht, als hätte man ein russisches Bordell in einen Passat gequetscht, vor allem in Osteuropa viele Anhänger. Wir haben uns auf die Suche nach einem typischen Phaeton-Fahrer gemacht – und Wladimir gefunden.

 

Wladimir Iwanow zertritt seine Kippe am Boden, räuspert sich und rotzt einen grauen Schleimklumpen auf den Asphalt. Gerade hat er einen neuen Auftrag von seinem Chef bekommen. Der Besitzer eines Nachtclubs im Berliner Osten hat seine überfällige Rate nicht bezahlt. Iwanow soll das Geld eintreiben. Notfalls ohne Worte. Dafür nimmt er Nikolaj Popow mit, der mit Bomberjacke, Springerstiefeln und leerem Blick neben dem Auto wartet.

Wladimir Iwanow ist 39 Jahre alt und stammt aus dem weißrussischen Orscha. Als Sohn eines arbeitslosen Alkoholikers, einer geprügelten Hausfrau und einer perspektivlosen Diktatur, entschied er vor zehn Jahren, seine Heimat zu verlassen. Er kam nach Berlin und arbeitet seitdem als Geldeintreiber für ein Büro, das Unternehmern mit zweifelhaftem Ruf Geld leiht, wenn es die Bank nicht mehr tut.

Iwanow ist 1,80 groß und hat die Schultern eines Preisboxers. Unter seinem kahl geschorenen Schädel wölben sich Falten wie aufeinander geschichtete Currywürste. Er trägt eine goldene Panzerkette, an der ein kleines orthodoxes Kreuz baumelt. Wulstige Finger quellen aus schweren Siegelringen. Seine Freunde nennen ihn ‚Tanzbär‘. Früher hätte man ihm einen Eisenring durch die Nase geschlagen und ihn als Touristenattraktion durchs Dorf gezogen. Heute lässt sich der weißrussische Tanzbär in einen VW Phaeton fallen. Die Federn des Fahrersitzes stöhnen leise unter dem Schwergewicht.

Das Interieur wirkt wie ein russisches Bordell mit Sowjet-Schick

Iwanow startet den Motor. „Früher bin ich 7er BMW gefahren. Aber den fährt heute ja jeder Ali“, grunzt er. Es muss der VW Phaeton sein, der einfach mehr Eindruck macht mit seinem fetten Zwölfzylinder, den 450 PS und dem permanenten Allradantrieb. Der opulente Innenraum aus beigem Leder und rotbraunem Wurzelholz wirkt wie ein russisches Bordell mit liebevoll drapiertem Sowjet-Schick.

Zwischen Fahrer und Beifahrer prangt eine mächtige Mittelkonsole. Der klobige Wählhebel verschwindet unter den fleischigen Händen von Iwanow. Gleich hinter dem Wählhebel klaffen zwei Cupholder, die so groß sind, dass man Champagnerflaschen darin unterbringen könnte. Wladimir und Nikolaj haben vorsorglich zwei Flaschen „Partisan“ hineingesteckt. Die von Wladimir ist schon zur Hälfte leer.

Wer VW Phaeton fährt, braucht keine Worte

Der VW Phaeton gleitet durch das nächtliche Berlin. Iwanow beobachtet das Geschehen mit eisblauen Augen, die sein feistes Gesicht zu zwei Sehschlitzen zusammenquetscht. Er trägt ein schwarzes Jackett. Darunter spannt ein Hemd, dessen Knöpfe sich mit letzter Kraft an ihre Löcher klammern. Popow stiert mit halboffenem Mund aus dem Fenster. „Popow ist nicht zum Quatschen mitgekommen.“ Iwanow grinst. „Den brauche ich, wenn Worte nicht mehr helfen.“

Er biegt in eine Seitenstraße ein und parkt vor dem Nachtclub ‚Cats‘. Aus zwei flackernden Straßenlaternen tröpfelt gelbes Licht. Iwanow öffnet die Tür, wuchtet seinen massigen Körper aus dem Phaeton und spuckt wieder auf die Straße. Überraschend beweglich galoppiert er um das Heck und packt Popow im Nacken, der, immer noch mit offenem Mund und leerem Blick, auf den falschen Nachtclub zusteuert. Er schiebt seinen tumben Kollegen durch die Tür des ‚Cats‘. Der Tanzbär und sein Kumpan verschwinden in der dunklen Bar. Sie regeln das heute. Ohne Worte.


Der VW Phaeton ist unser sechster Text in der mehrteiligen Reihe „Wer fährt eigentlich…?“

Welche Menschen fahren welches Auto? Und warum? Weil die Wahl des eigenen Autos von Beruf, Lebensabschnitt und dem eigenen Selbstbild abhängt. Wir alle passen in dieses Muster. Ich habe den Alltag auf deutschen Straßen beobachtet und porträtiere Menschen in und mit ihrem Fahrzeug – mal zugespitzt, mal melancholisch, aber immer mit einem Augenzwinkern.

Lest auch Teil 5 und Teil 7: Wer fährt eigentlich BMW X5 oder Renault Twingo?


Illustration: © Cliv

 

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