Samba, Sonne, Sommer! Jeder kennt diese Klischees von Brasilien. Vielleicht noch Fußball und leicht bekleidete Frauen. Doch es gibt viel mehr zu entdecken. Tolles Essen, weite Strände, dichter Urwald – und lebensgefährlicher Straßenverkehr. Ich habe euch ein paar Eindrücke aus meinem Urlaub mitgebracht und verrate euch drei Tipps, wie man den Verkehr in Brasilien überlebt.

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Rücksicht nehmen

Wir fahren von Aracaju nach Maragogi, 450 km an der Küste entlang nach Norden. In Brasilien ist das eine Weltreise. Schlechte Straßen und unglaublich viel LKW-Verkehr. Joao hockt auf dem Fahrersitz und rutscht nach vorne. Er umklammert das Lenkrad und kauert nur noch auf der Kante. Er überholt einen LKW. Schilder kündigen das Ende der Überholspur in 200 Metern an. Das Monster, das wir überholen, ist allein über 30 Meter lang. Der winzige Motor des Fiat heult in den höchsten Drehzahlbereichen. Joao zündet den Turbo: Er schaltet die Klimaanlage aus.

Ich schnappe nach Luft und halte den Atem an. Rechts von uns immer noch LKW. Der Fiat wird nicht schneller, sondern lauter. Joao rückt noch weiter nach vorne. Fünf mit Beton gefüllte Ölfässer markieren das Ende der Überholspur. Es rast auf uns zu. Ich starre nach rechts. Wir befinden uns auf Höhe des Führerhauses. Millimeter neben meinem Fenster zischt die erste Betontonne vorbei. Um Haaresbreite fädeln wir vor den Truck ein. Hinter uns türmt sich eine riesige Staubwolke. Der LKW-Fahrer ist auf den Seitenstreifen ausgewichen. Kein Hupsignal, keine bösen Worte, keine Mittelfinger. In Deutschland undenkbar. Erst jetzt atme ich aus. Von den Mitinsassen höre ich ähnliche Seufzer.

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Den Verkehr in Brasilien überlebt man, weil andere Rücksicht nehmen.

Verkehr im Stadtzentrum von Brasilia, fotografiert vom Fernsehturm.

Beim Verkehr in Brasilien gilt: Mitschwimmen!

Ich bin auch selbst gefahren. Gar nicht so einfach. Überall lauern Hindernisse. Klonk! Ein metallisches Scheppern, dann das dumpfe Kratzen von Mitteltopf auf Asphalt. Schon wieder war ich nicht sanft genug. Was im Behördendeutsch „Bremsschwelle“ oder auch „Beruhigungsschwelle“ heißt, ist in Brasilien so hoch wie ´ne Halfpipe. Mit Absicht – das weiß ich nach einem Tag Straßenverkehr in Brasilia.

Rumms! Direkt nach der Halfpipe erwische ich ein Schlagloch. Ausweichversuche waren zwecklos. Wobei Schlagloch eine Untertreibung ist. Das halbe Auto verschwindet in einem Krater. Am anderen Ende hüpft es hinaus und torkelt weiter. Vor mir schießt ein klappriger VW Golf von links nach rechts, überholt einen Bus und jagt wieder auf die linke Spur. Rostbrösel tanzen im Wind. Der deutsche TÜV hätte die Kiste schon vor zehn Jahren aus dem Verkehr gezogen. In Brasilien düsen Mama, Papa und vier Kinder in dem Kompaktwagen quer über die Spuren.

Fähre über den Rio Sao Francisco nördlich von Aracaju; Wartezeit ca. 30 Minuten. Die nächste Brücke ist 2 Stunden Fahrzeit entfernt.

Tempolimits sind nicht einmal unverbindliche Empfehlungen. Einzig die monströsen Schwellen oder die mit drei aufeinanderfolgenden Schildern idiotensicher angekündigten Radarfallen bringen brasilianische Fahrer zum Bremsen. Auf vierspurigen Straßen brettern Autos mit 40, 50 Sachen über dem Limit. Häufig fliegen Motorräder noch einmal schneller zwischen den Autos hindurch, selten passt eine Hand zwischen Autospiegel und Motorradfahrer.

Apropos. Ein Motorradfahrer überholt mich rechts. Er hockt auf seinem Zweitakter, das nackte Gesicht im Fahrtwind. Um seinen Körper hat er eine Stoßstange gewickelt. Sie flattert im Wind wie ein zerrissenes Segel. Der Fahrer krallt sich an den Lenker und schießt zwischen mir und einem LKW hindurch. Das Erstaunliche dabei ist: Das Chaos folgt einer Ordnung. Wo der Deutsche auf seiner Vorfahrt beharrt, tut sich für den Brasilianer eine Lücke auf. Eine Lücke, in die ein Auto passt. Gerade so. 80 cm Sicherheitsabstand vorne, 70 cm hinten. Bei 80 km/h muss das reichen. Der Unerschrockene schwimmt mit und kommt an.

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Den Verkehr in Brasilien überlebt man, wenn man mitschwimmt. Starkes Nervenkostüm vorausgesetzt.

Leichter Verkehr an einer roten Ampel unter dem zentralen Busbahnhof im Stadtzentrum von Brasilia.

Nicht alles so ernst nehmen

Die Heimreise steht an. Meine Gastfamilie möchte mich zum Flughafen bringen. Doch die Koffer passen nicht in den Hyundai HB20 von Rafael. Der HB20 ist ein exklusiv für Brasilien produziertes Kompaktauto mit dem Nötigsten: Servolenkung, Klima, Airbags, 125 PS. Keine Seele. Dafür gibt es zum günstigen Preis ein praktisches Vehikel für den Stadtverkehr. Doch vor vier riesigen Koffern kapituliert der Kleinwagen. Rafael organisiert Ersatz: Ein Chevrolet Vectra. Eine Kreuzung zwischen Opel Vectra C und Astra H. Die Scheinwerfer kommen vom Astra, auch die Heckklappe ist im Stil des Astra gehalten, die Karosserie ist die des Vectra.

Der Chevrolet döst seit einem Jahr in der Garage. Ein Wunder, dass er anspringt. Der schwarze Lack versteckt sich unter einer dicken Schicht aus rotem Staub. Wir quetschen drei Koffer in den Kofferraum. Dass der Tachometer nicht funktioniert, interessiert hier nicht. Wie viele Kilometer die Karre gelaufen ist? Keiner weiß es. Nur so viel: Der Tacho ist schon seit einer Weile defekt. Poröse Reifen winseln in jeder Kurve um Gnade. Der vierte Koffer rutscht auf den Beinen der Passagiere hin und her. Vor jeder Geschwindigkeitskontrolle passen wir das Tempo an die anderen Verkehrsteilnehmer an. Wir sind wohlbehalten am Flughafen angekommen.

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Den Verkehr in Brasilien überlebt man, wenn man nicht alles so ernst nimmt. Und Tachos werden sowieso überbewertet.

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Dennis Sahl
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