Mein Opel Astra gönnt sich ab und zu einen Schluck Öl. Der Verbrauch ist im Rahmen, nicht wirklich ungewöhnlich. Heute ist es wieder soweit. Der nächste Baumarkt ist nicht weit. Ich sitze im Auto. Musik an, Fenster auf. 34 Grad, Mittlerer Ring, gemütlich cruisen. Am Petueltunnel neben mir einer, der keine Schilder lesen kann. Es ist ja auch kompliziert: Rechte Spur biegt ab, Linke geradeaus. Anstatt Reifengummi auf den Asphalt zu radieren, lasse ich ihn vor. Die rote Ampel wird gelb. Fünf Autos hinter mir drückt jemand prophylaktisch auf die Hupe. In München zählt jede Zehntelsekunde beim 50 km/h-Sprint in den Tunnel.

Schilderwald am Petueltunnel.

Schilderwald am Petueltunnel.

34,5 Grad. Gleich nach dem Petueltunnel geht es auf die A9. Der Fahrer der Familienkutsche hinter mir wählt das Wort „Sicherheitsabstand“ zum Unwort des Jahres. Abfahrt zum Baumarkt. Papa klebt am Heck. Sein Meriva ist gefühlte zwei Meter höher als mein Astra. Schrankwand, Eiche massiv, davor ein mobiler Fernsehtisch. Ich gönne mir den Spaß, schieße in die Ausfahrt und beschleunige vor der Kurve. Im Rückspiegel sehe ich das erstaunte Gesicht im Pampersbomber. Dann wird der Meriva ein ferner, silberner Punkt. Das Thermometer springt auf 35 Grad. Der Parkplatz des Baumarkts ist leer. Offensichtlich bin ich der einzige Depp, der nicht im Schwimmbad oder am See abhängt. In den Gängen gähnende Leere. Kein Öl. Der Verkäufer brummt: „Des hammer ned. Fahrst einfach in den Euro-Industriepark, da gibt´s viele Läd´n, die des ham.“ Niederlage? Keine Option. Weiter zum Einkaufsparadies im Münchner Norden.

Gähnende Leere. An heißen Sommerwochenende verwaist der Baumarkt-Parkplatz.

Gähnende Leere. An heißen Sommerwochenende verwaist der Baumarkt-Parkplatz.

35,5 Grad. Ich irre durch seelenlose Schachbrett-Straßen. Wegweiser? Fehlanzeige! Doch ich finde den Markt, der verspricht alles, aber wirklich alles zu haben. Ich rolle auf den Parkplatz. Im Innern tausend Quadratmeter voll wimmelnder Menschen-Ameisen. Endlose Gänge, brummende Kühlanlagen. Cola, Unterwäsche, Fahrräder. Das Gemüse kauert hinter Regalwänden – und ist vor Angst ganz braun geworden. Ich mache auf dem Absatz kehrt und überlasse die Gurken, Salate und Tomaten ihrem Schicksal. Eine innere Stimme flüstert: „Deine Wochenendeinkäufe erledigst Du aber in deinem gewohnten Supermarkt.“ Da! Öl! Ich greife nach einer Flasche und sprinte zum Ausgang. Eine Großfamilie mit turmhohen Waren in drei Einkaufswagen versperrt mir den Weg. Eingepfercht zwischen lärmenden Kindern und Bergen von Tiefkühl-Fertigkost stehe ich zur Kasse.

Gib dem Astra Futter.

Gib dem Astra Futter. Der Opel ist gerettet. 

36 Grad. Ingolstädter Straße. Jede, und damit meine ich jede verdammte Ampel in Richtung Stadt ist rot. Autofahrer in München wählen „Grüne Welle“ zum Unwort des Jahrtausends. Nach nicht enden wollenden Momenten des Stop-and-Gos erreiche ich die Schleißheimer Straße. Ich biege ab und steige hinter einem BMW E46 mit eingeschalteter Warnblinkanlage in die Eisen. Klar. Der obligatorische Zweite-Reihe-Parker. Dann sehe ich die offene Motorhaube und weißen Rauch. Die Mittagshitze fordert ihren Tribut. Resigniert bremse ich und stelle mich darauf ein, die Hitzeleiche erst in Stunden zu überholen. Plötzlich passiert das Unglaubliche: Ein Skoda hinter mir bremst und hält an. Der Fahrer winkt, lässt mich vor. Gemeinsam biegen wir in die Tiefgarage meines kleinen Supermarkts ab.

Im Kühlschrank glänzen grüne Mönche, aufgereiht wie die Soldaten der Terrakotta-Armee. Sie sprechen zu mir: „Alles wird gut!“ Die Kassiererin erkennt mich, lächelt und wünscht mir ein schönes Wochenende. Wenn doch nur der Lebensmittelmarkt Motoröl verkaufen würde …

Dennis Sahl
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