Col de Turini. Dieser magische Begriff für Rallye- und quattrofans hat auch uns angezogen. Die Passhöhe, die über viele Jahre Bestandteil der Nacht der langen Messer der Rallye Monte Carlo war und über die Walter Röhrl und Christian Geistdörfer 1984 im Audi quattro zum Sieg flogen, ist aber nur ein Highlight auf dieser Strecke. Die 700 km lange Route des Grandes Alpes führt uns über insgesamt 16 Alpenpässe vom Genfer See bis ans Mittelmeer.
Alle 16 „Cols“ (französisch für Pässe) ebenfalls zu erleben, ist unser Ziel in diesem Sommer – natürlich mit einem Audi quattro, allerdings von einem V8 befeuert, der in einer Avant-Hülle steckt. Hilfestellung leistet uns dabei Kurt Mair, ein Automobilist der frühen Tage, der in den 30er Jahren bereits das Buch „Die Hochstraßen der Alpen“ geschrieben und 1957 für eine weitere Auflage überarbeitet hat. Seinen Empfehlungen folgen wir während unserer Reise immer wieder und werden stets mit dem Besonderen belohnt.
Viel Spaß mit den Notizen aus unserem Reisetagebuch:
1. Tag: Von Hessen an die Schweizer Grenze
Wir haben es tatsächlich geschafft! Niemand glaubte wirklich daran, dass wir dem Wecker gehorchend um 4.00 Uhr (in Worten VIER!!) das kuschelige Bett verlassen und uns nach einer kurzen finalen Packphase um 5.10 Uhr auf den Weg machen. Doch der Ferienbeginn in mehreren Bundesländern – ein Umstand, den wir bei der Reiseplanung unberücksichtigt ließen – zaubert Horrorstau-Szenarios in unsere Fantasie, denen wir mit diesem frühen Aufbruch zu entkommen versuchen.
Der S4 schaut noch ein bisschen verschlafen, als ich ihn aufschließe, um das Gepäck zu verstauen. Dabei muss ich feststellen, ein Audi ist kein Ami – nach Stapelung sämtlicher Utensilien geht die Laderaumabdeckung nicht mehr zu. Also Decke drüber und los. Lautstark zieht unser Reisewagen die kühle Morgenluft durch seine Nüstern und startet auf der Beschleunigungsspur der Autobahn durch.
Es ist viertel nach neun, als wir an der Schweizer Grenze ankommen. Trotz KKK-Pause (Kaffee, Käsebrötchen, Klo) auf einem schwäbischen Rasthof sind wir für die Verabredung mit meiner Cousine, unserem ersten Übernachtungsort dieser Reise, deutlich zu früh. So bummeln wir durch Bad Säckingen, überqueren auch mal zu Fuß auf der alten Holzbrücke den Rhein und die eidgenössische Grenze und trödeln dann über kleine Landstraßen in die Gegend von Aarau, um bei der Verwandtschaft einen fröhlichen Abend und eine angenehme Nacht zu verbringen.
Empfehlung zur Einkehr: Der „Kaffeeladen“ in der Rheinbrückstraße 27 in Bad Säckingen bietet sehr leckere handgemachte Crêpes mit frischem Obst!
2. Tag: Von Aarau nach Thonon-les-Bains
(Startpunkt der Route des Grandes Alpes)
Für heute haben wir den ehrgeizigen Plan, den französischen Ort Thonon-les-Bains am Genfer See zu erreichen. Dort beginnt die Route des Grandes Alpes. Das bedeutet rund 370 km durch die Schweizer Alpen, denn natürlich vermeiden wir, wie bei unseren automobilen Wanderurlauben üblich, Autobahnen und Schnellstraßen (außer zur An- oder Abreise auf deutschem Gebiet), um die Landschaft genießen zu können.
Zunächst nehmen wir die Straße nach Luzern, um dann am Ufer des Vierwaldstättersees entlang zu fahren. Eine angepeilte Kaffeepause in dieser schönen Stadt am Wasser muss leider mangels Parkmöglichkeit ausfallen, denn für die kostenpflichtigen Parkhäuser fehlt uns Landeswährung und zur Erlangung dieser ein Parkplatz vor einer Bank…
Doch ein paar Kilometer weiter darf der Audi S4 kostenlos parken, und wir genießen einen kurzen Spaziergang am See. Nachdem wir dann auch noch einen Geldautomaten finden, der uns mit Franken versorgt, erklimmen wir über Silenen und Andermatt wohlgemut den Furkapass. Hammer! Auf den Spuren von James Bond (man denke an die Verfolgungsjagd Rolls Royce gegen Aston Martin in „Goldfinger“) kurvt der rote Audi S4 quattro spielerisch die Serpentinen hinauf, während pummelige Wohnmobile mit asthmatisch klingenden Motoren immer wieder einmal versuchen, den Tatendrang unseres Spaßmobils vorübergehend auszubremsen. Solche Momente nutzen wir bei fehlender Überholmöglichkeit zu Fotostops an den berühmten Hotels entlang der Furkastraße. Leider haben sie bis auf das „Tiefenbach“ alle den Beherbergungsbetrieb eingestellt, ein Phänomen, das sich an vielen Bergstraßen zeigt und vermutlich nicht zuletzt den modernen Fahrzeugen mit höherer Reichweite geschuldet ist.
Also essen wir am Hotel Galenstock unsere selbstgeschmierten Brote, stellen uns vor, wie hier Bond’s Aston Martin mit quietschenden Reifen die Kehre um das Hotelgebäude genommen hat, und freuen uns über den Anblick der schroffen Berge und der zahlreichen Oldtimer, deren Insassen mit wohl ähnlicher Intention wie wir auf dieser Straße unterwegs sind.
Am Hotel Furkablick, das immerhin nach längerem Leerstand wieder ein Restaurant betreibt, verschlägt es mir den Atem ob des gigantischen Blickes, der sich dem Besucher von der nahezu freischwebenden Holzterrasse auf die Gipfel und in die Tiefe bietet. Ich renne mit meinen zwei Kameras (analog und digital) hin und her, finde tausend Motive und kann mich von dem morbiden Charme, den dieses Haus aus dem 19. Jahrhundert ausstrahlt, kaum losreißen.
Doch dann kommt nach der eigentlichen Passhöhe, ursprünglich direkt am Rhône-Gletscher gelegen, als weiterer Höhepunkt das Hotel Belvedere. Wie ein Schwalbennest klebt das riesige Hotel aus der Bel Epoque-Zeit am Berg und lockte in vergangenen Tagen mit einem Panoramarestaurant. Dass ausgerechnet ab diesem Jahr der Betrieb eingestellt wurde, bedauern wir sehr. Zu gerne hätte ich mal auf einem der Balkone direkt über dem Abgrund gestanden und die Gänsehaut dieses gigantischen Bergblickes genossen. So schauen wir halt vom benachbarten Parkplatz aus auf den sich zurückziehenden Gletscher, Murmeltiere und einen schicken Ford Fairlane der 50er.
Der Abstieg von hier ist spektakulär, wir sind froh über die guten Bremsen unseres Boliden. Die anschließende Fahrt an den Genfer See verläuft nach diesen beeindruckenden Bildern reibungs- und ereignislos. Um 20 Uhr checken wir im Ibis-Hotel in Thonon-les-Bains ein und lassen den Tag in einer kleinen Kneipe bei leichtem Sommerregen ausklingen.
3. Tag: Von Thonon-les-Bains nach Le Reposoir
Nach einem typisch französischen Petit Déjeuner in einem sehr netten Salon de Thè holen wir den S4 aus der Tiefgarage, der dort eine angenehm trockene Nacht verbracht hat und nun voller Tatendrang die nächsten Berge erklimmen will.
Der Einstieg in die Route des Grandes Alpes befindet sich bei den Gorges du Pont du Diable, einer sehr engen Schlucht mit höhlenartigen Vertiefungen im Gestein, die man im Rahmen einer Führung durchwandern kann. Wir verzichten auf eine Visitation, schließlich sind wir zum „Pässe sammeln“ hier! Nach den Eindrücken des Vortages sind die ersten Höhenmeter dank einer gut ausgebauten Straße relativ unspektakulär.
Morzine, Les Gets und Taninges lassen wir unbeachtet. In Cluses kommt es navigatorisch bedingt zu einem geringfügig längeren Aufenthalt, da die Franzosen die Invasion wildgewordener Touristenhorden mit irrweghafter Ausschilderung zu verhindern versuchen. Wir erkennen jedoch diese Finte, nutzen den kleinen Umweg, um günstig Super Plus zu tanken, und machen uns dann über Le Reposoir hoch auf den Col de la Colombière (1618 m). Dort lassen wir uns im Berggasthof die Gemüsesuppe schmecken und bereiten das Kartenmaterial für unseren weiteren Weg vor.
Weiter geht’s durch die immer wieder ihren Charakter ändernde Berglandschaft über den Col des Aravis (1486 m) zum Col des Saisies (1650 m), auf dessen deutlich wintersportorientiertem Plateau wir uns eine Pause gönnen. Die wenigen Wochen des Sommers hier oben in den Bergen scheinen manche Gastronome mit Mountainbike-Tourangeboten oder Ponyreiten überbrücken zu wollen, andere haben ihr Domizil schlicht geschlossen. Jedenfalls ist der riesige Parkplatz vor den (natürlich still stehenden) Skiliften fast leer. Wir wollen ein wenig spazieren gehen, aber irgendwie ist hier praktisch alles für Fußgänger gesperrt. Eine recht untalentierte Reitertruppe eiert mit gelangweilten Pferdchen an uns vorbei, wir beobachten noch eine Weile das merkwürdige Rudelparkverhalten der einheimischen Touristen und brummeln dann basslastig mit unserem V8 von dannen, bevor auch wir eingeparkt werden.
Ein paar Kurven weiter haben wir dann das erste Mal einen Blick auf den großen weißen Berg. Majestätisch thront der Mont Blanc über den unzähligen kahlen Berggipfeln, die sich wie treue Untertanen um ihn versammelt haben. Gefangen von dieser unglaublich malerischen Landschaft wünschen wir uns als Tagesziel einen hübschen Berggasthof, der uns morgen früh nach dem Aufwachen einen furiosen Fensterblick auf dieses Alpenpanorama bietet.
Es ist 17 Uhr, als wir nach zahllosen Kehren auf immer schmaler werdenden Straßen das Chalet de Roselend erreichen – einem Gasthof direkt über einem herrlich türkis schimmernden Stausee gelegen. Die Sonne scheint auf die Terrasse, die einen traumhaften Blick auf See, Berge, blauen Himmel und grüne Almwiesen offeriert. Nach einem leckeren Cappuccino ist klar: Das isser… unser Wunsch-Übernachtungsort, mehr kitschige Romantik geht nicht. Wir buchen ein winziges, blitzsauberes Zimmer im Berghüttenlook. Den Abend verbringen wir bis zum Sonnenuntergang auf der Holzbank einer nahe gelegenen Vesperhütte und kommen uns vor wie in einer Modelleisenbahnlandschaft.
Empfehlung zur Einkehr: „Les Lanches“, leckere Kleinigkeiten (z.B. Salat mit gebackenem Ziegenkäse) aus regionalen Produkten, direkt am Stausee Roselend gelegen.
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