4. Tag: Von Roselend nach Valloire

Wir starten früh ohne Frühstück, so haben wir Kurven, Kehren, Abgründe, Felswände und Schluchten ganz für uns allein. Der Audi S4 atmet die kühle Morgenluft und sprintet wie eine Gämse die Berge rauf und runter. Nach einem sensationellen Abstieg vom Cormet de Roselend (1968 m) frisst unser Gefährt(e) gierig die tausend Kurven zum Col de l’Iseran, dem mit 2770 m höchsten befahrbaren Pass der Alpen. Unser Tagesziel ist die Strecke über Valloire nach Bourg-d´Oisans, um die kühnste Hochstraße der Alpen zu befahren.

An Tag 4 fahren wir von Roselend über den Col de l´Iseran auf der kühnsten Alpenstraße bis nach Villard-Notre-Dame und zurück nach Valloire. Screenshot © Google

Inzwischen hat die Sonne die letzten Dunstwölkchen vertrieben, und ein strahlend blauer Himmel überspannt diese atemberaubende Bergkulisse. Im Refuge du Col de l’Iseran lassen wir uns den ersten Kaffee des Tages schmecken und verpassen leider den Moment, in dem mal kein Radfahrer vor dem berühmten Pass-Schild ein Selfie macht, denn mit fortschreitender Zeit bevölkert sich die Höhe zusehends. Nach einem kurzen Plausch mit zwei Remscheider Motorradfahrern stürzen wir uns auf der anderen Seite des Col in die Tiefe.

Begegnung der besonderen Art: Ein Aston Martin auf dem Col de l'Iseran, dem höchsten Pass der Reise.

Einer Empfehlung Kurt Mairs folgend ist unser nächstes Ziel der Col de la Croix de Fer (2068 m), für den wir von der eigentlichen Route des Grandes Alpes abweichen müssen. Die Straße dorthin reicht nur für eine Autobreite. Glücklicherweise wollen die meisten rauf, nur selten zwingen uns entgegenkommende Fahrzeuge zu riskanten Ausweichmanövern am Abhang. Wir klemmen uns hinter einen belgischen A6 und lassen ihn für uns den Weg frei machen.

Hier am Berg wird bewusst, wie winzig der Mensch ist. Oben am Croix de Fer reicht unsere Geduld nur für ein schnelles Foto. Es ist total überlaufen. Vornehmlich Radfahrer tummeln sich hier, um ihren Idolen der Tour de France nachzueifern. Bergab bestaunen wir dann, wie sie mit 70 Sachen vor uns her die schmale Straße herunterrasen. Nach einer langen Abfahrt erreichen wir im Tal die Kreuzung nach Le Bourg d’Oisans. Beim Abbiegen sehe ich aus den Augenwinkeln ein Umleitungsschild für den Col du Lautaret.

Der Ausblick vom Col de la Croix de Fer.

Was? Wir fragen in Le Bourg d’Oisans bei der Touristen-Info nach – und tatsächlich: Die Straße zum Col du Lautaret ist von dieser Seite aus gesperrt. Die offizielle Umleitung führt über Gap und bedeutet eine Verdreifachung des zu fahrenden Weges. Auf die von Kurt Mair als so eindrucksvoll beschriebene Landschaft müssen wir verzichten. Ich bin sauer. Die Alternative zur Umleitungsstraße bedeutet, den kompletten Weg über den Col de la Croix de Fer bis nach St. Michel-de-Maurienne zurückzufahren. Das kostet uns einen kompletten Tag! Zwei große Kugeln Eis in der Altstadt von Le Bourg d’Oisans kühlen mein Mütchen, für das bunte Treiben in diesem pittoresken Ort habe ich jedoch keinen Blick.

[xyz-ihs snippet=“Textmitte-nurBild“]

Die kühnste Hochstraße der Alpen

Auf keinen Fall verzichten will ich auf die, laut Mair, „kühnste Hochstraße der Alpen, die einen erfahrenen und sportlichen Fahrer erfordert“. Selbst in unserem aktuellen Frankreich-Atlas ist diese Straße von Le Bourg d’Oisans in das kleine Dörfchen Villard Notre-Dame – rot gepunktet – als gefährliche Strecke eingezeichnet. Wir stellen fest. Seit Mairs Beschreibung aus dem Jahr 1957 hat sich nichts geändert. Immer noch führt der Pfad einspurig und völlig ungesichert direkt an der Felswand entlang, in der man mauselochgleich ein bisschen Aussparung reingesprengt hat.

Mäuerchen vor dem freien Fall auf der kühnsten Hochstraße der Alpen nach Villard-Notre-Dame. Gänsehaut garantiert!

Atemlos zirkele ich den Audi um engste Kurven und durch nasse Tunnel, deren Finsternis den S4 und sein Fernlicht zu verschlingen suchen. Eine Unachtsamkeit am Abgrund bedeutet mehrere Hundert Meter freier Fall. In Villard Notre-Dame wenden wir und fahren die halsbrecherische Strecke wieder zurück, die bergab noch irrsinniger wirkt. Allein dieses Erlebnis ist es wert, den kompletten Umweg zu fahren. Unten angekommen sind wir sehr beeindruckt und glücklich, dieses Abenteuer heil an Mensch und Maschine überstanden zu haben.

An der Felswand entlang führt die kühnste Hochstraße der Alpen und verzeiht keine Fehler.

Mit verklärtem Blick sausen wir nun Richtung St. Michel-de-Maurienne, wo wir heute Mittag schon einmal waren, um dann von der anderen Seite zum Col du Lautaret zu gelangen. Zahllose Kurven und Kehren später – die Dämmerung bricht bereits herein – erreichen wir Valloire, einen Wintersportort im Sommerschlaf, in dem wir auf den letzten Drücker ein wunderschönes Zimmer im Hotel de la Poste ergattern.

p

Souvenir-Empfehlung: „Génepi“ – eine Art Kräuterlikör aus einer einheimischen Pflanze, der von innen wohlige Wärme verbreitet und schlagartig entspannte gute Laune herbeiführt, nur in den westlichen Alpen erhältlich, z.B. im Souvenirlädchen auf dem Col de l’Iseran.

5. Tag: Von Valloire über Vars auf den Col de Turini

In St. Marie, einem Ortsteil von Vars, wird heute auch die Mittagspause durchgearbeitet. Unter den lieblichen Klängen von Akkuschrauber, Kreissäge und Schleifmaschine genießen wir das sommerliche Wetter auf der Terrasse der „Vieille Auberge“ bei farbenfrohen Sirup-Getränken. Zuvor haben wir ein paar Pässe abgeklappert:

An Tag 5 fahren wir von Valloire über den Col d´Izoard und den Col de Vars durch das Örtchen Barcelonette und von dort auf den Col de Turini. Screenshot © Google

Der Col du Galibier (2642 m) bietet von Valloire aus einen atemberaubenden Aufstieg im schroffen Fels. Auf der Höhe gönnten wir uns nur einen kurzen Fotohalt und folgten dann der steil abfallenden Straße zum Col du Lautaret (2058 m), der im Vergleich zum vorhergehenden Pass völlig unspektakulär an einer Wegkreuzung liegt. Vor lauter Wohnmobilen und Souvenirläden fanden wir nicht einmal das Pass-Schild. Weiter ging es zum Col d’Izoard (2360 m). Eine landschaftlich aufregenden Bergfahrt mit so mancher Engstelle, an der sich Automobilisten, Biker und Radfahrer einander näher kommen können, selbstverständlich ohne seitliche Sicherung. Die Talfahrt hinter den berühmten Felsspitzen der Casse Déserte ist weniger spannend, dafür aber steil. Kurz vor Guillestre klafft eine Karl-May-Film-taugliche Schlucht, bevor die Route des Grands Alpes dann Richtung Vars abbiegt.

Einsame Straßen und grandiose Panoramen lassen das Fahrerherz höher schlagen.

Die Geschäftigkeit auf der Baustelle weckt in uns Lust auf Aktivität. Wir verlassen St. Marie und suchen nach einer geeigneten Stelle, um den S4 zu parken und selber ein paar Schritte zu gehen. Kaum haben wir angehalten, knipst sich die Sonne aus und ein frischer Wind bläst kräftig über die kargen Hänge. Eigensinnig stapfen wir weiter durch die Bergtundra, bis wir gut gekühlt wieder in die angenehm warmen Sitze unseres Automobils plumpsen.

Am Col de Vars (2111 m) treffen wir die Wolken wieder, die der Wind vor sich hergeschoben hat. Doch schon kurz hinter der Passhöhe blitzt die Sonne auf, so dass wir fröhlich die Kurven bergab nach Barcelonnette in Angriff nehmen. Kurz vor diesem beschaulichen Bergdorf zweigt die Zufahrt zur höchst gelegenen Straße Europas – einem Rundkurs um den Cime de la Bonette auf rund 2800 m – links ab. Die eigentliche Route des Grandes Alpes aber führt hinter Barcelonnette über den Col de la Cayolle (2327 m). Wir entscheiden uns für Letzteres.

Balkongeländer versus Auto. Hält das oder kann das weg?

Unsere Entscheidung wird mit schroffen Felsformationen, reißenden Bergbächen und einer irrwitzigen Straßenführung belohnt. Der S4 kraxelt wie eine Bergziege aufwärts. Gelegentlich findet sich am Wegesrand zum Abgrund hin ein zartes, hübsch verschnörkeltes Metallgeländer, das von seinem Produzenten wohl eher als Treppen- oder Balkongeländer gedacht war, mit seiner hiesigen Aufgabe der Sicherung gegen rutschende Fahrzeuge aber augenscheinlich völlig überfordert wäre. Glücklicherweise sind wir nahezu allein unterwegs und müssen weder dem Abgrund noch dem filigranen Geländer zu nahe kommen.

Generell scheint man in den französischen Alpen von der Sinnhaftigkeit entsprechender Straßensicherungssysteme nicht vollends überzeugt zu sein. Begrenzungspfosten oder Leitplanken sind hier, abseits der Haupttourismusadern, in der Regel nicht vorhanden. Dafür genießt man als Beifahrer den uneingeschränkten Blick in die Schlucht oder auf das Bergmassiv und bittet den Fahrer inständig, konzentriert die Straße nicht aus dem Auge zu lassen.

Durch die Gorges Supérieurs du Cians

Kurz hinter Valberg, der Sommerfrische der Côte d’Azur-Bewohner auf 1700 m, verlassen wir die Route des Grandes Alpes und folgen Kurt Mair, der die Fahrt durch die Gorges Supérieurs du Cians, der engsten mit dem Auto befahrbaren Schlucht, empfiehlt. Besonders macht diese Schlucht auch das rote Gestein, durch das sich der Fluss La Cians seinen Weg bahnt. Leider ist die Straße inzwischen deutlich besser ausgebaut. Tunnel rauben dem Automobilisten die schönsten Blicke. Der ursprüngliche Weg führte teilweise direkt neben dem Fluss unter Felsüberhängen hindurch, an manchen Stellen sogar für Fußgänger wegen Steinschlaggefahr gesperrt.

In der Schlucht Gorges Supérieur de Cians ist die Straße deutlich mehr ausgebaut als zu Kurt Mairs Zeiten.

Begleitet von dem unfassbar lauten Gezirpe der Rotsteinschluchtgrillen (von uns so getauft, erst dachten wir, der S4 wäre kaputt) machen wir ein paar flotte Meter auf der breiten Straße, bis wir wieder auf eine wild geschlängelte Pass-Straße abbiegen. Ziel für den nächsten Tag ist der Col de Turini (1607 m).

Nach der ernüchternden Suche nach einer Übernachtungsmöglichkeit in La Bollène-Vésubie beschließen wir, bis nach Nizza durchzubrettern. Dort gibt es ein Ibis-Hotel mit 24 h-Check-In. Da noch einige Kilometer bis dahin vor uns liegen und der Tag sich seinem Ende neigt, nehmen wir die Kurven hoch zum Col de Turini in bester Rallyemanier. Der S4 tobt brüllend den Berg hinauf auf den Spuren seiner Vorfahren.

Und dann das Unerwartete – oben auf dem Pass, also mitten in der Pampa, befinden sich drei Hotels. Der Rallyezirkus lässt grüßen. Das Zimmer in der „Ranch“ ist einfach, aber stilecht, und wir genießen einen wunderbaren Abend mit Käse und Rotwein auf dem Balkon dieser motorsport-begeisterten Stätte.

Ähnliche Artikel lesen

Schock in Hessen: Schnee im Winter

Schock in Hessen: Schnee im Winter

Jutta wohnt im Rhein-Main-Gebiet. Genauer gesagt in den Bergen des Taunus, deren höchste Erhebung sage und schreibe 880 Meter misst. Bei Temperaturen um den Gefrierpunkt wird diese Region zum Katastrophengebiet. Ohne vorheriges Survival-Training in der Antarktis sollte man wirklich nicht hierherziehen.

mehr lesen
Jutta Steinbrück-Weiß