Anneliese Meiler öffnet die Tür ihres drei Jahre alten Fiat Panda und klettert in eine Welt aus schwarzem Velours und billigem Hartplastik. Sie pfeffert ihren Hausschlüssel in die Ablage über dem Handschuhfach, in dem eine Packung Kleenex und ein blassblauer Eiskratzer verwesen. Dünne, aschblonde Strähnen fallen über die hohe Stirn, die sie mit einem nervösen Kopfschütteln verlagert.

Meiler will zu ihrem Literaturzirkel in Bergedorf. Entpflichtete Akademikerinnen treffen sich einmal im Monat, um zu häkeln, ein bisschen über Bücher zu reden und über die abwesenden Damen zu tratschen. Meiler ist 64 Jahre alt und pensionierte Oberstudienrätin. Sie unterrichtete Hochbegabte an einem Gymnasium in Winterhude. Für das heutige Damenkränzchen hat sie ihre hageren Beine in eine schwarze Steghose gezwängt und ihren drahtigen Oberkörper mit einer quietschpinken Tunika behängt. Lachsfarbene Schnürsenkel halten ihre dunkelbraunen Keilstiefeletten zusammen.

Meiler ist seit 19 Jahren geschieden und lebt allein in einem Reihenhaus am Stadtrand von Hamburg. Vor dem schmalen Wohnzimmer liegt ein handtuchgroßer Garten, in dem sich Farne und Schilfe drängen. Im Innern thront ein alter Konzertflügel. Afrikanische Holzmasken, aufwendig bemalte Wandteller und eine antike Vitrine, in der Meißner-Porzellantassen sorgfältig nebeneinander aufgereiht sind, riechen nach Intellekt und Kultur. Im ersten Stock, gleich rechts neben dem engen Badezimmer, steht eine Staffelei. „Dort kann ich mich ganz der bildenden Kunst hingeben“, flötet sie, während sie den Motor des Fiat Panda startet. Gewöhnlich spricht sie lieber über Kunst und Musik. An dem Literaturzirkel nimmt sie nur teil, damit man in ihrer Abwesenheit nicht schlecht über sie redet.

Meiler lenkt ihren Panda auf die Autobahnauffahrt und beschleunigt auf 80 km/h. Sie bleibt im zweiten Gang. Mit knochigen, sonnengegerbten Händen umklammert sie das obere Drittel des Lenkrads. Ihre dunkelblauen Augen, die in tiefen Höhlen über den eingefallen Wangen liegen, starren auf die Autobahn. Sie beginnt, über Oberklasselimousinen zu referieren, die sie für völlig überflüssig hält. „Sie verbrauchen zu viel Kraftstoff und belasten die Umwelt.“ Intellektuelle fahren praktische Autos. Keine schönen. „Man kann mit denen nicht mal einparken.“

Letzteres kann allerdings auch mit einem Kleinwagen zum Problem werden. Erst vor drei Wochen wollte Meiler ihren Fiat Panda rückwärts in den unteren Stellplatz einer Duplex-Anlage einparken, als sich die schräg abstehende Antenne in der oberen Plattform verkeilte, den Antennensockel herausriss und das Dach aufrollte wie eine Sardinenbüchse.

„Das kann jedem passieren“, schnaubt Meiler. Sie winkt ab. Der Panda schlingert hilflos zwischen den tiefen Schluchten der LKW-Spur hin und her. „So was fahren nur Angeber!“ schreit sie gegen den Motor an, der im schwindelerregenden Drehzahlbereich um Gnade heult. Ihre Stimme klingt wie eine Mischung aus Ödipussis Mutter und einem erkälteten Kermit. Meiler und der kleine Italiener passen gut zusammen – zumindest was die Tonlage betrifft. Mal sehen, wer auf dem Weg nach Bergedorf zuerst platzt.


Mit dem Fiat Panda eröffnen wir unsere mehrteilige Serie „Wer fährt eigentlich…?“

Welche Menschen fahren welches Auto? Und warum? Weil die Wahl des eigenen Autos von Beruf, Lebensabschnitt und dem eigenen Selbstbild abhängt. Wir alle passen in dieses Muster. Ich habe den Alltag auf deutschen Straßen beobachtet und porträtiere Menschen in und mit ihrem Fahrzeug – mal zugespitzt, mal melancholisch, aber immer mit einem Augenzwinkern.

Hier geht´s zum zweiten Text: Wer fährt eigentlich… MINI Cooper?


 

Illustration: © Cliv

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