Dagmar Kistner kämmt ihr platinblondgefärbtes, schulterlanges Haar, während sie an der Ampel wartet. Sie sitzt in ihrem roten MINI Cooper mit weißen Rennstreifen und weißem Dach. Die Ampel schaltet auf grün. Kistner lässt die Kupplung schleifen, sackt beim Schalten kurz nach vorn und beschleunigt den Kleinwagen auf der Rheinuferstraße in Richtung Innenstadt.

Die 43-jährige Blondine betreibt ein Nagelstudio am Stadtrand von Düsseldorf. Ihr Arbeitsplatz ist ein kleiner, schlauchförmiger Raum, in dem zwei schmale Arbeitstische längs aneinander stehen. Auf Tischen und Stühlen hat sich eine weiße, körnige Staubschicht ausgebreitet, die beim Abfeilen der Kunststoffnägel entsteht. Sie hustet trocken und fummelt eine Zigarette aus der blauen L&M-Schachtel, die im linken Ablagefach der Mittelkonsole liegt.

Kistner ist unterwegs zu ihrer Freundin Joanna, die in der angesagten Altstadt ebenfalls als Nageldesignerin arbeitet. Joanna ist sechs Jahre jünger und attraktiv. Findet Dagmar. Missmutig nestelt sie an ihrem Longtop, das sie unter einer weiten, hellblauen Strickjacke trägt, prüft ihr Make-up im Rückspiegel und zupft an den verlängerten Plastikwimpern. Lidstrich und Lippenkonturen sind dank Permanent Make-up in ihr Gesicht gemeißelt. „Ich möchte jeden morgen aufstehen und wie frisch geschminkt aussehen“, rechtfertigt sie die dunklen Tätowierungen, die zwar nicht verwischen, dennoch irgendwann der Schwerkraft zum Opfer fallen werden.

MINI Cooper gegen Goliath

Dann greift sie nach ihrem Smartphone, das in der rechten Rundablage im Rhythmus der Bodenwellen tanzt. Mit der linken Hand steuert sie den MINI in den Rheinufertunnel, während sie mit der rechten hektisch auf den verschmierten Touchscreen tappt. Schnell noch die aktuellen Facebook-Postings checken. Sie will nichts verpassen. Und nicht vergessen werden. Kistner starrt auf ihr Smartphone. Auf Höhe eines Container-Lastwagens gleitet der MINI Cooper gemächlich von der linken Spur auf die mittlere. Der LKW-Fahrer sieht im Rückspiegel, wie sich das wulstige Blechkleid des Kleinwagens auf 0,8 cm nähert. Ruckartig zieht er das Steuer nach rechts. Der MINI findet auf die linke Spur zurück, als Dagmar noch eine letzte Statusmeldung mit dem informativen Inhalt „Juhu, gleich shoppen und Sushi“ in die virtuelle Tastatur tippt. Dann legt sie das Smartphone zurück in die Ablage und streicht sich mit dem rechten Zeigefinger die schmal gezupften Augenbrauen glatt.

Darf´s ein bisschen Donald Duck sein?

„Früher hatte ich einen VW Eos, aber den fand ich blöd“, seufzt sie. Beim Verriegeln des automatischen Verdecks habe sie sich einen künstlichen Nagel aus dem Nagelbett gerissen. Da wollte sie ihn nicht mehr. Als wäre Eos nicht die Göttin der Morgenröte, sondern ein Dämon, der erst durch einen Blutstropfen zum Leben erweckt wird. Als hätte sie befürchtet, dass der VW eines Tages weder Dach noch Türen öffnet und ihre zarten Finger fest zwischen Hardtop und Scheibenrahmen presst, um sie zu opfern. „Den MINI Cooper mag ich. Er hat Kulleraugen und ein lustiges Grinsen. Naja, und sportlich ist er auch.“ Sie tritt das Gaspedal durch. Die straffe Federung und der plärrende Vierzylinder täuschen eine schier unendliche Leistung vor. Für Kistner müssen die äußeren Werte stimmen. Sportlichkeit und jugendliche Frische ausstrahlen. Eben ein bisschen mehr Donald Duck als Dämon.

 


Der MINI Cooper ist unser zweiter Text in der mehrteiligen Reihe „Wer fährt eigentlich…?“

Welche Menschen fahren welches Auto? Und warum? Weil die Wahl des eigenen Autos von Beruf, Lebensabschnitt und dem eigenen Selbstbild abhängt. Wir alle passen in dieses Muster. Ich habe den Alltag auf deutschen Straßen beobachtet und porträtiere Menschen in und mit ihrem Fahrzeug – mal zugespitzt, mal melancholisch, aber immer mit einem Augenzwinkern.

Hier geht´s zum ersten Text: Wer fährt eigenltich… Fiat Panda?


Illustration: © Cliv

 

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