Das Grollen der Sportauspuffanlage erschüttert meinen Körper. Der Druck, den die Gasstöße auslösen, peitscht meine Haare nach hinten. Grobstaubpartikel schießen aus den Endrohren direkt in jede Hautpore. Ich kauere hinter einem Ford Mustang Fastback von 1965, die Kamera gebannt auf das Heck des alten Boliden gerichtet. Axel Weber tritt das Gaspedal und lässt den 350 ci V8 aufschreien. Mit diesem Ford Mustang nimmt er regelmäßig an der ‚La Carrera Panamericana‘ in Mexiko teil, dem gefährlichsten Straßenrennen der Welt. Hier, auf der Klassikwelt Bodensee in Friedrichshafen, lässt er uns motorbegeisterte Journalisten dem einzigartig betörenden Klang des Achtzylinders lauschen.
Zwischen den Autos wuselt ein großer Mann mit heller Haut und blondem Bart hin und her. Matthias Heyer, gelernter Oldtimer-Mechaniker und Sohn des deutschen Rennsportmeisters Hans Heyer, stellt auf der Klassikwelt Bodensee sein Unternehmen ‚Euro-Latino Racing Services‘ vor. 2007 nahm Heyer das erste Mal an der Carrera Panamericana teil. 2008 wanderte er aus. Heute lebt er in San Miguel de Allende und betreibt gemeinsam mit seinem 35-köpfigen Team eine Werkstatt. Außerdem vermietet er sieben alte Boliden an Teilnehmer der Carrera. 42.000 EUR kostet ein von ELRS umgebauter Oldtimer, der, so Heyer, das Zeug zum Gewinnen hat, sofern der Fahrer damit umgehen kann. Heyer brennt für die Carrera. Er brennt für Rennwagen aus den 1960ern. Und er brennt für Mexiko. „Mexiko ist überhaupt nicht so kriminell, wie es hier dargestellt wird!“ ruft er in jedem zweiten Satz und reißt begeistert die Arme nach oben. Währenddessen steht Axel Weber neben seinem Ford Mustang und schweigt. Er ist kein Mann großer Worte. Er lässt lieber die acht Zylinder brüllen, wie er hier eindrucksvoll bewiesen hat:
Auszeit: Nostalgie-Campen im Innenhof
Nach der Abgasdusche schnappe ich frische Luft im Innenhof des Messegeländes. Hier nisten Camper in nostalgischem Gerät. Sie hocken auf Klappstühlen im Schatten, im Atrium ihrer überraschungseigroßen Wohnwagen. Ein Opa mit karierten Shorts, pinkem Poloshirt und haselnussbrauner Glatze klettert aus seinem winzigen Wohnwagen und stolpert auf mich zu. Um den Hals baumelt eine goldene Panzerkette, am rechten Handgelenk das dazu passende Armband. Vor seinen Wohnwagen hat er eine orange-rote Markise gespannt.
„Des is´ koi Imbisswagen, gell? Ich wohn´ da drin!“ ruft er. Daneben duckt sich das Zugfahrzeug aus dem Hause Trabant, eine Mischung aus Kübelwagen und Buggie mit Trabi-Galionsfigur. „Mehr kann der sich nicht leisten“, knurrt ein Schattensitzer mit Kappe und Marlboro. Der haselnussbraune Opa lacht mit pfälzischer Bescheidenheit. Wahrscheinlich schlummern in der heimischen Garage noch zwei Corvetten und drei Porsche. Er ignoriert die Bemerkung und strahlt mich an. „Und was machsch Du hier? Kucke’ und schreibe’?“ Treffender hätte ich es nicht formulieren können. Im Moment allerdings genieße ich Sauerstoff und Schatten, bevor ich die nächste Spritladung inhaliere. Eine Spritladung, die mich nachhaltig beeindrucken wird.
Geheimtipp: Vintage Racing
Das Vintage Racing ist mein absoluter Geheimtipp auf der Klassikwelt Bodensee. Über den kleinen Rennkurs hinter den A-Hallen donnern antike Motorräder, Rennwagen aus den 1970ern und monströse Vehikel aus den goldenen Zwanzigern. Spritdunst und Abgase flimmern über dem bebenden Asphalt. Knatternd, bollernd und fehlzündend preschen die Rennwagen an den Zuschauern vorbei. Unter ihnen ein American LaFrance, ein ehemaliges Feuerwehrauto der American LaFrance Fire Engine Company, umgebaut zu einem Speedster. Auf 23 Zoll großen Eichenholzspeichenrädern kracht das Gefährt durch die Kurven, angetrieben von einem 6-Zylinder mit 14,5 Liter Hubraum, 140 PS und unfassbaren 1.700 Nm Drehmoment.
Das Außergewöhnliche an diesem Speedster ist die doppelte Zündanlage: Jeder Zylinder hat drei Zündkerzen. Zwei Zündkerzen werden von einem Magnetzünder befeuert, die dritte von einer Verteilerzündanlage. Der Fahrer kann die Zündzeitpunkte im Cockpit manuell verstellen und entscheiden, ob mit beiden oder nur mit einer Zündanlage gefahren wird. Das soll den Kraftstoffverbrauch senken. Von 50 auf 45 Liter. So kommt man mit einer Tankfüllung immerhin 400 km weit. Mehr schafft mein V8 meistens auch nicht. Mit dem feinen Unterschied, dass der LaFrance 200 Liter tanken kann. Übrigens: Das Experimentalfahrzeug ‚Brutus‘ des Auto- und Technikmuseums Sinsheim basiert auf einem American LaFrance Chassis von 1907.
Der Fahrer prügelt sein 3,5 Tonnen-Monster über die Rennstrecke, mit beiden Händen ans Lenkrad geklammert. Seine Beifahrerin liegt auf dem Beifahrersitz, die Beine im Fußraum verkeilt. In jeder Kurve spannen sie ihre Muskeln an und klammern sich an das hölzerne Interieur. Vom Kommentator lernen wir: „Türen sind nur dazu da, damit die Insassen nicht aus dem Auto fallen.“ Word.
Die Klassikwelt Bodensee ist keine Messe. Sie ist ein Event. Hier treiben sich herrlich verrückte Menschen herum. So herrlich verrückt, dass ich ihren Geisteszustand als völlig unbedenklich einstufe. Die Klassikwelt Bodensee ist ein Oldtimer-Event ohne Investoren mit Siegelring, Golfspieler mit aufgestelltem Polokragen und Trophäenfrauen mit Schlauchbootlippe. Eben nicht so versnobt wie die Techno Classica in Essen. Dieses Jahr war mein erstes Mal. Und ich kann´s kaum erwarten, bis es nächstes Jahr wieder so weit ist.
Vielleicht sehen wir uns dort? Bis dahin werfen wir gemeinsam einen Blick auf die Bilder der Klassikwelt Bodensee.
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