Dresden. Für mich eine der schönsten Städte Deutschlands. Heute, an einem warmen Sonntagabend, haben wir die Schwester meiner Freundin zum Flughafen Dresden gebracht und genießen auf der Rückfahrt eine kleine Runde durch die Altstadt. Nachdem die Yacht kurz vor der Semperoper posierte, fahren wir weiter. Wir haben Hunger. Als Zielgebiet wählen wir die Neustadt mit ihrer Vielzahl an Restaurants und anderen Möglichkeiten, den Hunger zu stillen. Nach ein paar Umleitungen rollt die Yacht die Hainstraße entlang und kommt an der Kreuzung Antonstraße an. Wir wollen nach rechts abbiegen, doch der weiße Pfeil zeigt an, dass wir nur geradeaus weiterfahren dürfen. Es wird grün, die Yacht setzt sich in Bewegung und wir biegen nach rechts in die Antonstraße ein. Ich schalte in den zweiten Gang und die verstärkte Kupplung stellt wieder die Verbindung zwischen Motor und Getriebe her. In der Fahrschule lehrte man uns, dass man den Kreuzungsbereich angemessen zügig verlassen soll. Das kann die Yacht. Wahrhaftig. Je weiter man das Gaspedal in Richtung Bodenblech drückt, umso mehr Kraftstoff wird eingespritzt. Und nach der Verbrennung generiert der K24-Turbolader aus der Abgasmenge umso mehr Ladedruck. Das alles resultiert in beeindruckendem Vortrieb, der von außen durch das lauter werdende Pfeifen des Turboladers deutlich hörbar ist. So angenehm die Beschleunigung der Yacht ist, so dicht ist dabei die Wolke im Heckbereich.
Stop! Die Yacht muss am Ufer anlegen
Ich gehe vom Gas und lasse die Yacht rollen, wobei mein Blick durch ein rotes Blinken im Rückspiegel eingefangen wird. „STOP – Polizei“ „Gut, das hat sich dann gelohnt“, denke ich und lenke die Yacht an den Straßenrand. Während ich den Motor ein wenig nachlaufen lasse, erscheint der Polizeibeamte im sanften Licht der Straßenlaternen. Der Polizeiobermeister erwähnt etwas von Polizeikontrolle, weil die Yacht an der Kreuzung bei einem Geradeauspfeil trotzdem abgebogen ist. Ich lausche seinen Worten zum missachteten Geradeaus-Pfeil an der Kreuzung und erwarte jeden Moment die Ansprache zum Ausstoß der Yacht, die jedoch überraschend ausbleibt. Nun gut. Ich suche ihm die gewünschten Dokumente heraus, die er entgegennimmt und damit seine Kontrolle fortführt. Ich bleibe ein wenig lächelnd sitzen und frage meine Freundin: „Haben die den Nebel eben wirklich nicht gesehen?“ Ich genieße ihr ebenso überraschtes Lächeln. Der Staatsbeamte hat die Kennzeichenabfrage beendet und widmet sich der Kontrolle der Eintragungen. Als er am hinteren Rad fertig ist, erscheint er tief zur Yacht herunter gebeugt an der Fahrertür und fragt: „Und wie verhält sich das mit dem H-Kennzeichen, der Tieferlegung und den großen Rädern?“ Ich entgegne: „Das entspricht alles der Abnahme nach Paragraph 23. Der Wagen wurde geprüft und in diesem Zustand abgenommen.“ Er nickt erstaunt und bedankt sich für meine Auskunft, während er zum Vorderrad geht, um die Kontrolle der eingetragenen Daten fortzusetzen. Zwischendurch bittet der mich, doch bitte die Motorhaube zu öffnen.
Ich zögere. Möchte ich den bisher so schönen entspannten Abend durch das Öffnen meiner Motorhaube wirklich zerstören? Möchte ich dem so netten Polizeiobermeister den Anblick antun, oder ihn lieber beschwichtigend vom Gegenteil überzeugen. Es wäre einen Versuch wert. Ich bleibe ein kooperierender Verkehrsteilnehmer und öffne die Haube. Als ich aussteige, neben ihm stehe und er zu mir aufschaut, ergibt sich die für weitere Minuten anhaltende Lehrer-Schüler-Konstellation, die bereits mit der Erklärung der Umstände zum H-Kennzeichen begann. Die Stunde der Wahrheit. Ich öffne mit leicht mulmigem Bauchgefühl die Motorhaube und er inspiziert sofort alles mit seiner Taschenlampe. Inzwischen ist auch seine Kollegin vor der Yacht zur Besichtigung des Motorraums eingetroffen. Der Lichtschein seines kompakten LED-Beleuchtungsgerätes streift vom Turbolader über die ausreichend dimensionierten Stahlflex-Öl- und Ladedruckleitungen, die mit ihren blau-rot schimmernden Fittings und dem silbern glänzenden Firesleeve leichte Akzente setzen, hin zum unauffällig schwarzen voluminösen Ladeluftkühler.
Was ist original? Und wer weiß das heute noch?
„Hier haben sie ja auch alles schön original belassen.“ Mir stockt der Atem. Es fällt mir auch nach mehrmaligem Nachdenken sichtlich schwer, diese Feststellung spontan zu kommentieren. Ich räuspere mich und währenddessen entfleucht mir ein leises „Ja“. Ist ihm die Eintragung des Diesel-Aggregats im unendlich großen Motorraum, der einst von einem 5-Zylinder-Benziner bewohnt wurde, nicht aufgefallen? Der Polizeiobermeister ist noch nicht am Ende. Wahrscheinlich liegt es am Alter. Mit seinen vielleicht 20-22 Jahren hat man trotz später Stunde noch Elan. Wieder entsteht die Lehrer-Schüler-Konstellation durch seine Frage: „Wie verhält es sich mit dem US-Standlicht? Bisher habe ich nur erlebt, dass es bei Fahrzeugen im Steuergerät programmiert wurde.“ Leider muss ich ihn enttäuschen. Die Yacht stammt mit ihrem Baujahr 1985 aus einer anderen Zeit. Pur. Mechanisch. Direkt. Sie hat keine Steuergeräte. Die braucht sie nicht. Wozu auch? „Die US-Beleuchtung ist original. So wie sie damals war, wurde sie auch für die Abnahme nach Paragraph 23 gewünscht und abgenommen.“ Um ihm die Funktion der Begrenzungsleuchten im Zusammenspiel mit der Fahrtrichtungsanzeige besser erklären zu können, schalte ich zusätzlich die Warnblinkanlage an. Sein Blick erhellt sich. Er versteht mich. Ich erhalte meine Unterlagen mit den Worten „Sie haben da ein sehr schönes Auto“ zurück. Ich bedanke mich respektvoll. Nachdem abschließend noch die Schuld für die Ordnungswidrigkeit für das Missachten des Geradeaus-Pfeils beglichen ist, trennen sich unsere Wege. Ich lenke meine Schritte zur Kommandobrücke der Yacht und er nähert sich seinem Streifenwagen.
Ein schöner, entspannter Abend in unserer Landeshauptstadt. Das war die zweite Feuertaufe der Yacht. Man lernt nie aus. Weder der am Straßenverkehr teilnehmende Bürger noch der Polizeibeamte. Ich starte den TDI. Die Umgebungsgeräusche werden durch das laute Diesel-Nageln ergänzt. Es ist der Motor, der das alte Auto für mich so eigen und interessant macht. Ein Motor, der in der Yacht so ganz und gar nicht original ist. Durch ihn wird sie zum Original.
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