In „Heiß, heiß, Baby“ berichtete ich von der psychischen Labilität meines Audi V8. Ich berichtete von Symptomen, die keine Ursache zu haben schienen – außer der chronischen Profilneurose. Doch inzwischen existiert ein Befund: Der Stellmotor für die Temperaturregelklappe ist defekt und verhindert, dass die Klimaautomatik auf den Fahrer hört. Zudem erklärt ein massives Falschluftproblem die zu hohe Wassertemperatur. Der Motor läuft zu mager und wird aufgrund des falschen Gemischs zu heiß. Beide Diagnosen sind nicht lebensbedrohlich für einen Youngtimer. Aber es sind Zipperlein, die unentwegt zwicken und kneifen. Und das schlägt selbst dem stabilsten Blech irgendwann auf´s Gemüt.

Was also liegt näher als eine Wellness-Behandlung für den alten Boliden? Cockpit und Motor in Einklang bringen, die Karosserie von innen und außen reinigen. Während sich für die Reinigung des Herzens Ölschlammspülungen und Benzinsystemreiniger anbieten, benötigen wir für die für die Hautpflege einen Fachmann. Sebastian, begeisterter Alt-Auto-Fahrer, Leder-Fetischist und gelernter Sattler ist hierfür genau der richtige.

Meister Leder im Einsatz

Meister Leder fährt pünktlich um 12.30 Uhr mit seinem dunkelblauen Audi S8 vor, dessen Ecru-farbene Lederausstattung heller glänzt als der Feuerball am Himmel. Energisch springt er aus dem Sitz, stilvoll gekleidet in ein dunkelblaues Polohemd und eine kurze Hose im Military-Stil. Er öffnet den Kofferraum und hebt eine Kiste mit Putz- und Pflegemitteln heraus. Drahtige Muskulatur spannt sich in den Unterarmen an. Gut gelaunt marschiert er auf uns zu. Der erste Schritt der Ganzkörperbehandlung ist die grobe Reinigung des Leders. Das macht man am besten an einer Tankstelle. Mit Druckluft duscht Sebastian Krümel, Sand und Steinchen aus den Ritzen des faltigen Leders, denn selbst kleinste Partikel können der empfindlichen Haut schmerzhafte Kratzer und Risse während der Reinigung beibringen.

Nachdem der grobe Schmutz wie weggeblasen ist, breitet Sebastian eine Decke hinter dem Heck der alten Limousine aus und positioniert seine Kiste darauf. Er streift Gummihandschuhe über seine sehnigen Hände und begutachtet das in die Jahre gekommene Travertin. Das Leder ist für sein Alter noch gut, dennoch sehr verschmutzt. Er wählt einen starken Reiniger aus. Behutsam massiert er den Reiniger mit einer Wurzelbürste in das Leder, als wäre es die alte Haut einer betagten Dame. Er beugt sich ganz tief über die Rücksitzbank und streichelt sie mit seinen zarten, aber kräftigen Händen. Alte Herrschaften genießen die Zuwendung schöner Jünglinge – das ist nicht nur bei Autos so.

Schweiß, Talg und Schmutz

Mit kreisenden Bewegung bürstet Sebastian den Seifenschaum in die oberste Lederschicht, öffnet die Poren und löst den Schmutz. Anschließend wischt er den schaumigen Reiniger mit einem feuchten Handtuch ab und befreit die alte Haut so von Schweiß, Talg und Schmutz, der sich in den vergangenen 22 Jahren in den Poren festgesetzt hat. Am 27.03.1992 wurde der dunkelgrünen Limousine, die nach Luxemburg ausgeliefert werden sollte, gewaltsam das Kodiakleder übers Gestühl gestülpt und festgezurrt. Die Haut sollte fest sitzen und keine Falten werfen. Und sie musste 22 Jahre darauf warten, dass die pflegenden Hände von Meister Leder sie verwöhnen, streicheln und liebkosen.

Der Vorher-Nachher-Vergleich auf einer abgeklebten Sitzfläche zeigt, wie viel Schmutz sich über die Jahre ansammelt. Ein bräunlicher Fettfilm schwimmt auf der Wasseroberfläche im Putzeimer. Ein kalter Schauer schüttelt mich. Jahrelang suhlte ich mich in altem, klebrigem Schweiß, schwamm im Körperfett der Vorbesitzer. Und jedes Mal, wenn ich ausstieg, hafteten abgestorbene Hautpartikel und Schuppen älterer Männer aus Luxemburg an meinem Körper. Ich will sofort unter eine Maxi-Flasche Sagrotan duschen und frage mich, wie ich die letzten sechs Jahre ohne Atemschutz, Latexhandschuhe und lange Baumwoll-Leinen-Kleidung überleben konnte. Allein die Unwissenheit schützte mich. Denn hätte ich es gewusst, hätte ich Spannbettlaken über die Sitze gezogen, als wären es antike Möbel in einem verlassenen Geisterhaus.

 

Katze