Es ist Donnerstag. Tief hängt der graue Himmel über dem Westen Münchens. Schwüle Luft, vermengt mit Saharastaub, wabert durch den Stadtteil Pasing. Mein Audi V8 ist heute schlecht drauf. Er äußert dies zunächst durch die mir längst bekannten Drehzahlschwankungen und räuspert sich in regelmäßigen Abständen auf 600 U/min herab. Ich ignoriere seine aristokratische Hüstelei, weil ich weiß, dass er nicht gerne mit mir einkaufen geht. Die kurze Strecke nach Pasing, das ewige Herumkurven durch Straßenbahnbaustellen, die elendige Suche nach einem Parkplatz – all das ist unter der Würde einer prätentiösen Oberklasselimousine. Die Kühlwassertemperatur steigt auf knapp 100 Grad. „Was ist denn los?“ murmle ich vor mich hin und richte die Frage natürlich insgeheim an meinen V8. Mit alten Autos muss man sprechen, sonst zicken sie. Wer kennt das nicht. Der alte Herr antwortet mit einem zornigen Fauchen, dreht die Lüftung auf und bläst mir einen Orkan heißer Luft um die Ohren. Ich kann die Innenraumtemperatur nicht mehr regeln. Die Klimaanlage ist zwar noch vorhanden, aber offenbar ebenfalls in den Streik getreten. Ich fühle mich wie ein Hühnchen im Umluftbackofen. 200 Grad, 45 Minuten. Fertig. Ich ergattere einen Parkplatz und manövriere mein launisches Eisenross behutsam hinein, bevor es mich ausbrütet wie ein vertrocknetes Küken.
Dabei war doch am Dienstag noch alles in Ordnung. Zugegeben: Auf dem Weg zum TÜV hatte ich erstmals seit Jahren ein mulmiges Gefühl. Der unruhige Leerlauf, der leichte Kühlwasserverlust. Wirklich nur das Alter? Während der Fahrt plapperte ich auf ihn ein, dass er sich zusammenreißen müsse, schließlich gehöre er noch nicht zum alten Eisen. Als Antwort auf meine ungeteilte Aufmerksamkeit erhielt ich ein zufriedenes Räuspern und wohliges Schütteln. Und tatsächlich hatten die warmen Worte ihre Wirkung nicht verfehlt: Der V8 hat die Prüfung mustergültig bestanden. Ohne Mängel. Same procedure as every two years. Mir fiel ein 4.2-Liter-Alublock vom Herzen. Endlich konnte ich mich auf meinen Mädelsabend freuen. Endlich einmal wieder durch die Leopoldstraße cruisen und nicht darüber nachdenken, ob mit dem V8 nun alles in Ordnung ist oder nicht. Denn auch er muss manchmal die gleichen Pflichten erfüllen wie andere Autos: einfach nur fahren.
Und jetzt das. Am Freitag setze ich einen Notruf an zwei befreundete Experten ab. Beide tippen auf eine defekte Zylinderkopfdichtung. Als hätte ich die nicht erst 2010 tauschen lassen. Mir wird schlecht. Drei Magentabletten und einen Kamillentee später fahre ich mit meinem alten Boliden ein paar Runden um den Block, um seine momentane Gemütslage besser einschätzen zu können. Auch heute zeigt er sich nur wenig kooperativ. Fieber, Husten, Schütteln. Die gleichen Symptome wie am Donnerstag. Ich halte an einer Tankstelle und öffne die Haube. Die Kühlwasserschläuche sind heiß, der Visco-Lüfter läuft nur schwachbrüstig, der Elektrolüfter hingegen gar nicht. Ha! Von wegen Zylinderkopfdichtung, denke (und hoffe) ich. Beide Lüfter scheinen ihren Geist aufgegeben zu haben. Alles ist besser als die Zylinderkopfdichtung. Auf dem Heimweg achte ich darauf, nicht stehenbleiben zu müssen, um ausreichend Fahrtwind abzubekommen (macht das mal in München – aber nur mit starken Nerven ), und vereinbare einen Termin mit Torsten, dem V8-Flüsterer, für Samstagvormittag.
Am Samstag liest Torsten den Fehlerspeicher meines Autos aus. Mit zwei verschiedenen Auslesegeräten. Nichts. Keine Fehler. Und das, obwohl mein V8 zu den kommunikativen seiner Art gehört. Torsten misst die Temperatur der Kühlwasserschläuche mit einem Infrarot-Thermometer. Sie liegt knapp unter 100 Grad, was angesichts der schwülwarmen Außentemperatur und dem Leerlauf nicht ungewöhnlich ist. Apropos Leerlauf: Der blubbert ruhig vor sich hin, natürlich ohne Schwankungen. Sowohl der Visco-Lüfter als auch der E-Lüfter rotieren, als wären nagelneu. Der Motor zeigt keinerlei Anzeichen für eine defekte Zylinderkopfdichtung. Torsten sieht mich an, als wäre ich genau so wenig dicht wie der Hydrauliköl-Behälter, aus dem das Öl für die Servolenkung und den Bremskraftverstärker tröpfelt. Die weit aufgerissene Haube und der klaffende Kühler meines Audis wirken wie ein hämisches Grinsen. Nachdenklich lehne ich meinen Kopf gegen die offene Haube und lasse mir den warmen Luftstrom des E-Lüfters ins Gesicht blasen. Der Meister entlässt uns mit der Diagnose „Patient gesund“ – zumindest physisch.
Was die psychische Labilität – die Profilneurose – meines V8 betrifft, steht die Diagnose noch aus. Mein Audi V8 ist der erste Hypochonder unter den deutschen Youngtimern. Er tut so, als wäre er kaputt, obwohl er kerngesund ist. Und warum? Ist doch klar: Damit ich ihm wieder meine ungeteilte Aufmerksamkeit zuteil werden lasse. Denn nichts anderes tue ich seit Samstag. Und seit dem läuft er wieder einwandfrei.
Eure Katze
PS: Wie in Gedanken über Liebe und Trennung bereits angemerkt, muss der Beruf des Autopsychologen erst noch erfunden werden. Wie man psychosomatische Probleme bei seinem Youngtimer selbst behandeln kann, lest ihr hier: Die Seele alter Autos.
- Umzug – es wird Zeit für was Neues! - 22. Mai 2018
- Bermudadreieck Autobahn: Wo ist Adam? - 22. Januar 2018
- Bergauf glüht der Motor, bergab die Bremsen - 1. November 2017