Im Laderaum des weißen Ford Transit rumpelt es. Etwas klirrt, gedämpft von Karton. Branko Jovanoviç hat 130 Pakete an der Zustellbasis in die Regale seines Transporters gestopft. Ungesichert. Er arbeitet als Kurierfahrer, oft 14 Stunden am Tag. Für 1.400 EUR brutto.

Um 7.24 Uhr prügelt der junge Serbe den schwankenden Ford Transit um eine langgezogene Rechtskurve und schießt über die Autobahnauffahrt auf die A5 von Ettlingen nach Karlsruhe. Er beschleunigt auf 140 km/h und fährt so dicht an einen Golf, dass sich die Stoßstangen fast berühren. Der Dieselmotor brüllt. Der Golffahrer zittert. Jovanoviç flucht und bremst abrupt. Mit einem dumpfen Schlag fällt ein Paket in die Mitte des Laderaums. Kurz vor der Ausfahrt Karlsruhe-Nord setzt Jovanoviç den Blinker. Drei Tonnen segeln mit starker Schräglage von der Autobahn.

Branko Jovanoviç ist 32 Jahre alt. Ein sorgfältig getrimmter Backenbart verziert sein rundes Gesicht. Dunkle, buschige Augenbrauen liegen auf den Rändern einer RayBan-Sonnenbrille, hinter der er seine wässrig-blauen Augen versteckt. Bizeps quellen aus dem Diesel-Shirt. Auf dem linken Oberarm prangt ein unscharf gestochenes Tattoo: Zwei Würfel, die „Funny Dices“, die sich Männer früher hinter den Rückspiegel hingen, um ihre Bereitschaft für ein illegales Rennen anzuzeigen.

Wer Ford Transit fährt, flucht fulminant

Der Ford Transit nagelt durch ein Industriegebiet im Nordosten von Karlsruhe. Jovanoviç kurbelt die Scheibe runter, saugt hastig an einer Zigarette und schnippt die Asche aus dem Fenster. Mit der rechten Hand zerknüllt er eine leere Marlboro-Schachtel, die er zu den klebrigen Cola Zero-Dosen, müffelnden Brotzeittüten und den sieben anderen zerknitterten Zigarettenschachteln in den Beifahrerfußraum pfeffert.

Ein Mercedes vor ihm fährt bei Grün zu langsam los. Jovanoviç brüllt serbische Flüche durch das offene Fahrerfenster und reißt die Fäuste in die Luft. Essensreste und Speichelfäden tanzen hinaus auf die Straße. Mit der rechten Hand schlägt er auf die Hupe ein und reißt an dem Schaltknüppel, der unterhalb eines verloren wirkenden CD-Schlitzes am Armaturenbrett klebt.

Jovanoviç biegt nach links in eine Wohnstraße. Kinder stieben auseinander, als sie den heranjagenden Transporter bemerken. Der Kurierfahrer stoppt den Ford Transit mit kreischenden Bremsen, springt auf die Straße und schlägt die Hecktüren auf. Vier Pakete purzeln auf den Asphalt. Sechs, auf denen die Aufschrift „Nicht werfen“ und „Zerbrechlich“ klebt, liegen kopfüber im Mittelgang. Jovanoviç gräbt mit beiden Händen und fischt ein weißes Paket aus dem Haufen. Mit schweren Schritten steuert er ein graues, mit Graffiti beschmiertes Hochhaus an. Seine Schweißfahne wabert hinter ihm her.

Bürokratie und Balkan

Kurz vor Schichtende, gegen 21.00 Uhr, hält er für ein paar Sekunden inne und atmet tief ein, bevor er den Motor startet. Er wirkt, als könne er seine Aggressionen selbst nicht ertragen. Dann erzählt er von seiner Heimat. Jovanoviç stammt aus Novi Pazar, einer kleinen Stadt in Südserbien, ganz in der Nähe des Kosovo. Sein Vater ist arbeitslos, die Mutter hat nichts gelernt und hält sich und ihren Mann als Verkäuferin über Wasser. An schönen Tagen hockt der Vater vor dem Haus, raucht selbst gedrehte Zigaretten und schimpft abwechselnd über die Bosnier und die Kosovaren. Er hält sie für abtrünnige Serben. Seinem Sohn ist das egal. „Ich will nur, dass mich die Leute in Ruhe lassen.“

Jovanoviç hustet den Rauch seiner 23. Zigarette aus. Er lebt gerne in Deutschland. Hier bekommt er jeden Monat pünktlich seinen Lohn. Und die Bürokratie, über die die Deutschen so schimpfen, findet er gut. „In Deutschland ist alles geregelt.“ Er bremst, fällt aus der Tür und schleicht um seinen weißen Transporter. Es ist 21.35 Uhr. Das letzte Paket versteckt sich unter dem Regal, mit eingedrückten Ecken. Seufzend zieht er es hervor. „Ich muss ordentlicher werden.“ Dabei ist das Chaos in seinem Transporter das letzte Bisschen Balkan, das ihm geblieben ist.


Der Ford Transit ist unser vierter Text in der mehrteiligen Reihe „Wer fährt eigentlich…?“

Welche Menschen fahren welches Auto? Und warum? Weil die Wahl des eigenen Autos von Beruf, Lebensabschnitt und dem eigenen Selbstbild abhängt. Wir alle passen in dieses Muster. Ich habe den Alltag auf deutschen Straßen beobachtet und porträtiere Menschen in und mit ihrem Fahrzeug – mal zugespitzt, mal melancholisch, aber immer mit einem Augenzwinkern.

Hier geht´s zu Teil 3 und Teil 5: Wer fährt eigentlich Porsche Cayenne oder BMW X5?


Illustration: © Cliv

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